Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
Haftstrafen herausgefiltert werden. Ihre Länge hängt von der Schwere der Normverletzung ab.
Fast ausschließlich werden Männer aus dem unteren Drittel der Sozialhierarchie in diese Statistik aufgenommen. Volle zwei Drittel der Häftlinge stammen aus dem untersten Zehntel und besitzen gewöhnlich nicht einmal den Hauptschulabschluss. Zweifellos werden in dubiosen Finanzgeschäften oder bei der Steuerhinterziehung Vergehen begangen, deren Schäden weit höher liegen als bei den niederen Formen der Kriminalität, die am unteren Saum der Unterklassen auftreten. Aber die geschickte rechtliche Beratung der Täter und die Zurückhaltung gegenüber einer komplizierten und kostspieligen Strafverfolgung verbinden sich oft genug zu einem Verzicht auf angemessene Bestrafung. Diese Zurückhaltung lässt sich an der Behandlung der mindestens 180 bis 300 Milliarden ausmachenden Fluchtbeträge ablesen, die in die berüchtigten Steueroasen, in die Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein, geschmuggelt worden sind. Man muss abwarten, ob sich der endlich auftretende politische Druck, eine angemessene Besteuerung dieses Fluchtkapitals zu erreichen, effektiv durchsetzen wird. Bis dahin muss man sich auf den Kauf von furchteinflößenden Datenträgern mit Kontoinformationen verlassen, um die deutschen Steuerflüchtlinge zu erfassen und zu Strafzahlungen zu zwingen.[ 26 ]
15.
Die Ungleichheit zwischen West und Ost
Als die Sowjetunion in ihrer ostdeutschen Satrapie einen klassischen Okkupationskommunismus durchsetzte und sich dabei des Kollaborationsregimes der deutschen Bolschewiki in Gestalt der «Sozialistischen Einheitspartei» bediente, unterwarf sie zuerst ihre Zone und später die DDR radikalen Methoden des soziopolitischen Elitenwechsels, der hegemonialen Parteidiktatur, der massenhaften Enteignung und einer rigorosen Planwirtschaft. Deren Basis war durch die einschneidende Demontagepolitik der Besatzungsmacht ungefähr die Hälfte ihres Potentials entzogen worden. Für den Wiederaufbau fehlten die sofort enteigneten bürgerlichen Unternehmer, und zur Wahrnehmung der unentbehrlichen unternehmerischen Leitfunktion erwies sich die Planungsbürokratie als denkbar inkompetent.
Zugleich setzte zwischen 1955 und 1963 eine Massenflucht von Millionen ein, die der russischen Soldateska und dem politischen SED-Regime nach Westen entkommen wollten. Die DDR erwies sich seither als das einzige Land der Welt mit kontinuierlich schrumpfender Bevölkerung: 1948 zählte man in Ostdeutschland 19.1 Millionen, 1989 nurmehr 16.4 Millionen (2000 mit 15.2 Millionen in den neuen Bundesländern noch weniger Einwohner). Bis sich die DDR mit der Mauer 1961 einigelte, verlor sie mit den Flüchtlingen hoch qualifiziertes Personal, z.B. 20.000 Ingenieure, 4500 Ärzte, 1000 Professoren und Hunderttausende von Facharbeitern. Sie alle waren für etwa 30 Milliarden ausgebildet worden, kamen aber jetzt der Bundesrepublik als wertvolles, kostenlos erworbenes Humankapital zugute.
Der SED gelang es bis zuletzt nicht, das ökonomische Leistungsniveau so anzuheben, dass der viel beschworene Konkurrenzkampf mit der Bundesrepublik glaubwürdig wirkte. 1989 verdiente der ostdeutsche Arbeitnehmer noch immer nicht einmal ein Drittel (31 %) des westdeutschen Bruttoeinkommens. Nur die zahlreichen Doppelverdiener – 82.5 Prozent der ostdeutschen Frauen waren berufstätig – erreichten etwa 54 Prozent des westdeutschen Einkommens. Die ostdeutsche Wertschöpfung verharrte bei einem Drittel der westdeutschen. In den 40 Jahren ihrer Existenz hinterließ das kommunistische Regime überdies eine fatale Ökobilanz, die Zerstörung der Infrastruktur, den Verfall der Innenstädte, einen schlechten Gesundheitszustand und eine niedrige Lebenserwartung.
Die meisten westdeutschen Sachkenner haben den maroden Zustand der DDR unterschätzt, als sie nach der Abwahl durch ihre Bevölkerung in die Bundesrepublik aufgenommen wurde. Die Veräußerung des «volkseigenen» Eigentums durch die «Treuhand» erwies sich als Verlustgeschäft. Die ostdeutsche Wirtschaft kollabierte sowohl wegen des Verlusts ihrer Ostmärkte als auch unter dem überlegenen westdeutschen Konkurrenzdruck. Über Nacht wurden die neuen Bundesländer zu einem notleidenden Gebiet, das auf unübersehbare Zeit gewaltiger Subventionen bedurfte. Hundert Milliarden wurden seither im Durchschnitt jährlich transferiert, so dass inzwischen zwei Billionen Euro zur Erzeugung gleichartiger Lebensverhältnisse aufgewandt
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