Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)
hinreichenden Zahl von Landärzten sah in Westdeutschland nicht viel anders aus. Selbst das durchschnittliche Bruttogeldvermögen hat sich in Ostdeutschland bereits bis 1994 verdoppelt, wenn es auch zunächst ein Drittel des Durchschnittsvermögens westdeutscher Haushalte ausmachte. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen erreichte damals im Osten immerhin 3200, während es im Westen 4600 Euro ausmachte.
Die Verarbeitung der neuen Lebensverhältnisse, ihre Chancen und Belastungen ergaben in der Mitte der 90er Jahre aufschlussreiche Umfragewerte. 48 Prozent der Betroffenen optierten für eine klare Verbesserung ihrer Lage, 23 Prozent jedoch für eine Verschlechterung; knapp 30 Prozent äußerten sich noch unschlüssig. Zwanzig Jahre nach der Wende hat die Zustimmung zur verbesserten Lage etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den neuen Bundesländern erfasst, während 22 Prozent weiterhin ihre Skepsis wegen der angeblich verschlechterten Lebenslage äußerten. Jetzt ist der Umstellungsprozess über die Agrargebiete mit ihrer Monokultur und über Städte mit der Wucht ihrer De-Industrialisierung mit schmerzhafter Gewalt hinweggegangen. Namentlich Angehörige der gut ausgebildeten jüngeren Generation suchten ihr Heil in der Abwanderung in den Westen. Mehr als 1.2 Millionen sind in einer entschlossenen Binnenmigration fortgezogen oder führen eine prekäre Pendlerexistenz.
In derart betroffenen Gebieten und Städten neigen die oft arbeitslosen Sesshaften auch zum politischen Protest gegen die neuartige Situation, und die Abertausende von gläubigen SED-Mitgliedern schließen sich aus Empörung über das Scheitern ihrer politischen Zielvorstellungen an. Obwohl sie das Debakel des DDR-Untergangs, das Scheitern der Parteidiktatur und den Niedergang in eine aussichtslose Verschuldung noch selber erlebt haben, optieren sie oft für die Nachfolgeorganisation der SED, die oberflächlich getarnte «Partei des Demokratischen Sozialismus» (PDS). Ihr gelang es, nicht zuletzt dank dem rhetorischen Talent von Gregor Gysi, allmählich ein Wählerpotential von 20 bis 24 Prozent unter den Enttäuschten und Dogmatikern zu erschließen. Mehr als drei Viertel der Wähler entscheiden sich aber, was die PDS gern ignoriert, keineswegs für sie. Doch als Regionalpartei stellt sie vorerst einen Machtfaktor im Stil der frühen Bayernpartei nach 1945 dar.
Mit der fortschreitenden Integration der neuen Bundesländer wird die PDS allerdings einem Erosionsprozess ausgesetzt. Der Anlauf, als «Linkspartei» in den bevölkerungsstarken Westen mit seinen 67 Millionen Einwohnern zu expandieren, ist inzwischen gescheitert. Sie hat sich vor den Karren des blinden antisozialdemokratischen Hasses von Oskar Lafontaine spannen lassen, und konnte sich außerdem nur auf kleine altkommunistische, trotzkistische Splittergruppen, neomarxistische Gewerkschaftler und blinde Kritiker der rot-grünen Reformen stützen. Diese schmale heterogene Basis reichte nicht aus, um zur Grundlage einer attraktiven größeren gesamtdeutschen Partei zu werden, die als Machtfaktor ernst genommen werden muss. Endlose Personalquerelen und die mangelhafte programmatische Überzeugungskraft ihrer diffusen Leitideen werden den Schrumpfungsprozess befördern, aber im Osten des Landes der PDS oder «Linkspartei» noch geraume Zeit den Status einer beachtenswerten Regionalpartei sichern. Je bereitwilliger sie dem Kurs ihres pragmatischen Flügels folgt, desto länger wird sie sich in dieser Form halten können. Ihr Niedergang wird die Abmilderung der Sozialen Ungleichheit im Verhältnis von West und Ost symbolisieren.[ 27 ]
Nachwort
Seit zwei Jahrhunderten ist die moderne Wachstumsdynamik der westlichen Gesellschaften zyklischen Konjunkturschwankungen unterworfen. Sie bilden den Grundrhythmus ihres Aufstiegs. Um ihn einer effektiven Gegensteuerung zu unterwerfen, ist Schritt für Schritt der Interventions- und Sozialstaat aufgebaut worden. Seine Erfolge sind beträchtlich, obwohl er bisher keinen dauerhaft geebneten Wachstumspfad planieren konnte. Auch der Aufstieg der deutschen Marktgesellschaft seit dem «Wirtschaftswunder» ist ihrem dynamischen Wachstumspotential zu verdanken, das zu einer in der deutschen Geschichte beispiellosen Explosion der Einkommen und Vermögen geführt hat. Alle Kritik an den gegenwärtigen Exzessen muss daher zunächst einmal die Leistung anerkennen, mit der die deutsche Wirtschaft, durch Binnenproduktion und Außenhandel, das Land in
Weitere Kostenlose Bücher