Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
stürzte, als eine aufregende Zeit der stolzen Selbstbehauptung seiner Volksgruppe. Seither habe Nigeria seine von vornherein inhaltsleere und nie wirklich gelebte Unabhängigkeit völlig verspielt â durch Korruption und politische Unfähigkeit seiner Machthaber.
Natürlich hat Chimamanda Adichie die Biafra-Memoiren Achebes gelesen. In der «London Review of Books» fällte sie ihr abschlieÃendes Urteil über das Buch, den Autor und seine ganze Generation. Es klingt â besonders angesichts Adichies lebenslanger Bewunderung für Achebe â ernüchtert: «Chinua Achebe gehört zur Generation der verwirrten Nigerianer, jener Leute, die das Glück hatten, Bildung erwerben zu können, die man lehrte, an Nigeria zu glauben, und die dann, hilflos und bestürzt, zusahen, wie ihr Land zerbröckelte. Er war ein Biafra-Patriot, wie die meisten seiner Igbo-Kollegen, weil sie sich nicht mehr Nigeria zugehörig fühlten. Er scheint immer noch ungläubigerstaunt zu sein über die schrecklichen Dinge, die auf die Sezession folgten.»
In der Tat folgten fast nur schreckliche Dinge. Die postkoloniale englischsprachige Literatur aus Nigeria hat sich in vielen beispielhaften Romanen und Erzählungen mit diesen Schreckenszeiten auseinandergesetzt. Afropoliten finden sich unter ihren Protagonisten allerdings keine. Nigeria ist ein ölreicher Staat â das afrikanische Texas â, der sein riesiges Potenzial an natürlichem Reichtum buchstäblich versickern lässt, im Boden, in den Taschen korrupter Politiker und ausländischer Mineralöl-Konzerne. Wie mit den gröÃten Erdölreserven Afrikas im Nigerdelta Schindluder getrieben wird, das lässt sich vor allem bei den nigerianischen Autoren Ken Saro-Wiwa und Helon Habila nachlesen. Die stets erneut aufflammenden blutigen Religions- und Stammeskriege zwischen den Hausa im Norden und den Igbo im Süden wiederum sind ein Thema, das vor allem Chimamanda Adichie ebenso umtreibt wie ihren Autorenkollegen, den Jesuitenpater Uwem Akpan.
Wie Adichie pendelt auch Akpan, Jahrgang 1971, zwischen Nigeria und den USA und verfügt über den doppelten Blick auf sein Herkunftsland â von innen und von auÃen. Die jüngste Geschichte Afrikas verdunkelt fast alle Erzählungen seines Debütbandes «Sag, dass du eine von ihnen bist». Es ist eine Geschichte von Staatsstreichen, Militärdiktaturen, Folter, Massakern und Bürgerkriegen. Uwem Akpan nimmt in seinen Erzählungen den Leser mit auf eine Schreckenstour durch alle Abgründe des Infernalischen im heutigen Afrika: ethnische Säuberungen, religiöse Pogrome, Armut und Hunger, Prostitution, Sklaverei, Völkermord. Die Geschichten spielen in unterschiedlichen afrikanischen Ländern, neben Nigeria auch in Kenia, Ãthiopien und Ruanda. Und wie Adichie thematisiert auch er die Hausa-Massaker an den Igbo. Afropoliten kommen in diesen Erzählungen nicht vor. Akpans Haltung zu seinem Kontinent ist tragisch.
Das Besondere ist Akpans Blickwinkel: Seine Perspektivfiguren sind Kinder. Er zeigt alle Ãbel des Kontinents, gesehen immer durch Kinderaugen. Es ist eine für Kinder verwirrende Welt voller feindseliger Parteiungen und ethnischer wie religiöser Gruppenkämpfe. Immerwieder wird Kindern in Bürgerkriegsgegenden, besonders Kindern aus ethnisch gemischten Familien, als VerhaltensmaÃregel eingeschärft, sich keinesfalls selbst ethnisch zu identifizieren, sondern jedem, der fragt, wer auch immer es sein mag, unbedingt sofort die Zugehörigkeit zu signalisieren: «Sag, dass du eine von ihnen bist». Wer auch immer das Kind auffordert, sich zu identifizieren, das Kind sollte, so der Ratschlag der Eltern, stets antworten: Ich gehöre zu euch.
Es sind arglose kleine Mädchen oder Jungen von acht, neun, zehn Jahren, die die längste Zeit gar nicht begreifen, was ihnen anzutun die Erwachsenen sich anschicken. Sie sollen als Kinder-Prostituierte ins Ausland verkauft werden; oder sie geraten zwischen die Fronten von Hutu und Tutsi im Völkermord in Ruanda; oder zwischen die Fronten von muslimischem Norden und christlichem Süden in Nigeria. Die Kinder wissen nicht, wie ihnen geschieht. Der Leser hingegen wird vom Autor von Anfang an darüber informiert, wohin die Geschichten führen und wie sie ausgehen werden â immer mit der schlimmstmöglichen Wendung.
Als Schlussbild wählt Uwem Akpan gerne ein
Weitere Kostenlose Bücher