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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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Eindringen britischer Kolonialherren, die der archaischen Igbo-Gesellschaft ihre eigenen Strukturen aufzwingen und sie damit zerstören. Der altgewohnte und verlässliche Zeitbegriff der Igbo-Gesellschaft im ewigen jahreszeitlichen Kreislauf zwischen Aussaat und Ernte, Regenzeit und Harmattan-Zeit, wird abgelöst von einem anderen, dem europäischen Zeitbegriff. Die Europäer zwingen die Igbo unter einen neuen Zeittakt. Denen bleibt nur die Wahl, sich zu beugen oder zu zerbrechen.
    Exemplifiziert wird dieser Untergang am Schicksal des Romanhelden Okonkwo, eines ruhmreichen und viel bewunderten Stammeskriegers, der alle Tugenden der Igbo-Stammestraditionen zu verkörpern scheint und dennoch (oder deswegen?) ein schlimmes Ende nimmt: Er wird zerrieben zwischen Tradition und Wandel, zwischen den alten Bräuchen und den neuen Anforderungen eines Macht- und Kulturwandels, an die er sich weder anpassen kann noch will. Okonkwo ist ein tragischer Held der alten Zeit, der am Übergang vom vorkolonialen Afrika zur europäischen Kolonisierung scheitert und zuschanden geht.
    Der erste und umfangreichste Teil des Romans schildert breit und detailreich den Aufstieg Okonkwos zum reichen Mann und angesehenen Dorf-Granden, der zahlreiche lokale Ehrentitel auf sich vereinigt. Er lebt in einem von neun Igbo-Dörfern, die einen lockeren Clan-Verband bilden, und steht als Patriarch einem polygamen Haushalt mit drei Frauen und acht Kindern vor. Okonkwo hat sich seine einflussreiche Stellung durch körperliche Stärke, Fleiß, harte Arbeit und die gewissenhafte Einhaltung aller Stammesbräuche erworben. Und doch nagt an ihm eine geheime Unsicherheit. Das problematische Verhältniszu seinem Vater hängt ihm nach, der in Schande und Armut starb. Der Vater war ein Taugenichts – ein untüchtiger und erfolgloser Mann, der ungern arbeitete, aber gern trank und musizierte.
    Die Angst, vom Schicksal des Vaters eingeholt zu werden, höhlt den Sohn insgeheim aus. Lebenslang fühlt sich Okonkwo getrieben, die Schwäche des Vaters in sich zu bekämpfen. Er kompensiert seine Angst davor, Schwäche zu zeigen, durch übersteigerte Männlichkeit und herrisches Auftreten und versteckt seine Gefühle hinter schroffem und autoritärem Gebaren, das bis zur Grausamkeit gehen kann. Eben diese starre Unbeugsamkeit macht es ihm unmöglich, geschmeidig auf Veränderungen zu reagieren. Er kann und will sich nicht anpassen und neigt zu Jähzorn wie zu unbedachten, übereilten Reaktionen. Seine Furcht, man könnte ihm Mitgefühl als Schwäche auslegen, geht so weit, dass er ohne Not, nur auf Druck des Dorf-Orakels, seinem geliebten Adoptivsohn, einem Kriegsgefangenen von einem anderen Stamm, die Kehle durchschneidet.
    Hier zeigt sich Chinua Achebe als klarsichtiger Kritiker dörflichen Brauchtums, sofern es ihm fragwürdig erscheint. Der Autor billigt das Menschenopfer an dem harmlosen Kind ebenso wenig wie das Aussetzen von Zwillingen im Busch gleich nach der Geburt, weil sie als Träger von Unheil gelten. Rituelle Handlungen gelten diesem Autor nicht automatisch als sakrosankt, nur weil sie rituelle Handlungen sind.
    Mit dieser traumatisierenden Tat des Menschenopfers beginnt Okonkwos Niedergang. Sein Leben gerät aus der Bahn, immer rascher und immer fataler. Als er bei einem Dorffest durch ein Versehen einen Dorfbewohner tötet, wird er nach alter Sitte verbannt, obwohl es ein Unfall war. Okonkwo geht, wie es die Tradition verlangt, mit seiner Familie für sieben Jahre ins Exil in das Dorf seiner Mutter. Hier merkt er erstmals, dass der altgewohnte und verlässliche Stillstand der Igbo-Gesellschaft im ewigen jahreszeitlichen Kreislauf zwischen Aussaat und Ernte allmählich abgelöst wird von einem anderen Zeitbegriff: Europa beginnt sich Afrikas zu bemächtigen. Folglich nimmt auch der Roman Fahrt auf, die Ereignisse beschleunigen sich, und schließlich überstürzen sich die Dinge.
    Zum ersten Mal begegnet Okonkwo einem weißen Mann. EnglischeMissionare tauchen im Dorf auf, bauen eine Kirche und beginnen, die Einheimischen zu belehren und zu bekehren. Okonkwos eigener Sohn schließt sich, aus Protest gegen seinen Vater, der neuen Religion an: Er lässt sich taufen und verlässt den Familienverband. Ein schwerer Schlag für den Vater.
    Nach seiner Rückkehr in sein Dorf muss Okonkwo feststellen, dass dort nichts mehr ist, wie es war. Ein drastischer

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