Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
Vom Netzwerk:
scheinbar schon so gut wie verschwunden sind. Aber handelt es sich hier überhaupt um Rassenschranken? Geht es nicht vielmehr um neofeudale Allüren, die Emporkömmlinge aus den neuen afrikanischen Machteliten gerne an den Tag legen, deren Berücksichtigung sie jedoch in der egalitären US-Gesellschaft nicht erwarten dürfen?
    Chimamanda Adichie ist die Tochter eines Statistikers und Mathematik-Professors an der
University of Nigeria
in Nsukka, wo ihre Mutter in der Administration arbeitete. Mit neunzehn Jahren gab Adichie ihr Medizinstudium an dieser Universität auf und ging in die USA, um zu schreiben. Erst schloss sie ein Studium der Kommunikationswissenschaften ab, dann schrieb sie sich in Yale für einen Studiengang in afrikanischerGeschichte ein, weil es ihr um die Wiedergewinnung der unterdrückten Geschichte des Kontinents zu tun war, der nach verbreiteter Auffassung gar keine Geschichte hat.
    Seit Kindertagen war das Schreiben Adichies eigentliches Ziel. Anders als die glamouröse Taiye Selasi brütet sie auch über den Elendsaspekten ihres Herkunftskontinents und macht sich Gedanken darüber, was in Afrika, namentlich im Vielvölkerstaat Nigeria, schiefgelaufen ist und warum. Dass sie in dem Haus auf dem Universitätscampus in Nsukka aufwuchs, in dem einst der verehrte nigerianische Autor Chinua Achebe gewohnt hatte, mag dabei eine Rolle gespielt haben. Es fällt auf, dass sie sich immer wieder auf Achebe als ihr Vorbild beruft: Als sie mit zehn Jahren Achebes Roman «Alles zerfällt» las, sei das für sie eine lebensprägende Offenbarung gewesen, sagt sie in Interviews. Sie begriff: Auch Afrikaner sind geschichtsfähig und geschichtsmächtig. «Ich erkannte, dass Leute, die aussahen wie ich, in Büchern vorkommen konnten.»
    Bislang veröffentlichte Adichie zwei Romane, «Blauer Hibiskus» (2007) und «Die Hälfte der Sonne» (2008). In beiden Büchern ist Nigeria, dieser von den britischen Kolonialherren künstlich zusammengefügte Staat aus Hausa-Muslimen im Norden und Igbo-Christen im Süden (nebst 250 weiteren ethnischen Gruppen und mehr als 500 Sprachen), der Schauplatz, jeweils zu einem besonders heiklen Moment in der Geschichte des Landes. Die Romane spielen in den schlimmsten Krisenzeiten, die Nigeria in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit i960 als zweite von Großbritannien freigegebene afrikanische Kolonie zu durchleiden hatte.
    In dem einen Roman gewittert im Hintergrund der Biafra-Krieg Ende der 1960er Jahre, der andere spielt Ende der 1990er Jahre, während des Schreckensregimes des Militärdiktators Sani Abacha, das den absoluten Tiefpunkt an Korruption und Grausamkeit in der Geschichte dieses geschundenen Landes darstellt. Es war ein Militärsondergericht Abachas, das den Schriftsteller, Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten Ken Saro-Wiwa im November 1995 hinrichten ließ.
    Da Adichie, wie auch Chinua Achebe, der Igbo-Volksgruppe Südnigerias angehört, geht es ihr vor allem um die verdrängte Geschichtedes Abfalls der Igbo vom Gesamtstaat in der kurzlebigen Republik Biafra im Jahr 1967. Dies war der erste Sündenfall in der postkolonialen Geschichte des afrikanischen Kontinents, mit seinen Massakern und Hungerkatastrophen im darauf folgenden dreijährigen Bürgerkrieg.
    Doch Adichie geht anders mit dem Thema um als Chinua Achebe. In ihren Romanen und Erzählungen ist Biafra stets präsent. Sie erinnert immer wieder an den Bürgerkrieg, der über eine Million Todesopfer unter den Igbo forderte und in dem während der Hungerblockade täglich bis zu sechstausend Menschen verhungerten. Immer wieder, auch in einigen der Erzählungen im Band «Heimsuchungen», kommt sie auf das so lange verschwiegene Trauma Biafra zu sprechen.
    Chinua Achebe hingegen, der sich seinerzeit aktiv, zeitweise sogar als Sonderbotschafter, für die Unabhängigkeit Biafras engagierte, ließ vierzig Jahre schweigend verstreichen, ehe er kurz vor seinem Tod im Jahr 2013 seine Erinnerungen an und Reflexionen über den gescheiterten Sezessionsversuch veröffentlichte («There was a Country. A Personal History of Biafra»). Anders als sein Landsmann, der Nobelpreisträger Wole Soyinka, der die Sezession der Igbo rückblickend für «einfach politisch und militärisch unklug» hält, beschreibt Chinua Achebe in seinen Memoiren den Biafra-Krieg trotz des Elends, in das er die Igbo

Weitere Kostenlose Bücher