Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Phase völliger Sprachlosigkeit seine neue Literatursprache anzueignen.
Ãbrigens wechselten nicht alle Autoren, die als Bürgerkriegsflüchtlinge Jugoslawien verlieÃen, ins Englische, wiewohl die Einwanderung in die englische Sprache in der neuen Weltliteratur am häufigsten vorkommt. Hemons bosnischen Kollegen SaÅ¡a StaniÅ¡iÄ etwa verschlug es nach Deutschland â und damit auch ins Deutsche als seine Literatursprache. StaniÅ¡ic zählt heute zur ständig wachsenden Gruppe von Schriftstellern migrantischer Herkunft, die inzwischendie deutsche Literatur bereichern â wie etwa Terézia Mora, Emine Sevgi Ãzdamar, Olga Martynova, Feridun Zaimoglu, Alina Bronsky Sherko Fatah oder Ilija Trojanow.
Diese neue Weltliteratur ist eine dynamische, rasant wachsende, postethnische und transnationale Literatur, eine Literatur ohne festen Wohnsitz, geschrieben von Migranten, Pendlern zwischen den Kulturen, Transitreisenden in einer Welt in Bewegung, deren avancierteste Vertreter wie Taiye Selasi, Mohsin Hamid oder Teju Cole auch den Postkolonialismus bereits hinter sich gelassen haben. Diese Literatur ist mit nationalliterarischen Kategorien nicht mehr zu fassen. Sie eröffnet neue Erzählwelten und Erfahrungsräume und operiert in globalen Vernetzungen, in denen die Unterschiede zwischen Peripherie und Zentrum längst zum Verschwinden gebracht wurden. Sie ist ein weites Feld, das gegenwärtig noch keineswegs für einen Gesamtüberblick vorbereitet ist. Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, diese immense und weiter vor sich hin explodierende Materialmenge zu überblicken, geschweige denn zu meistern.
Vor allem in GroÃbritannien und den USA ist diese neue Weltliteratur seit längerem Gegenstand der akademischen Forschung und Theoriebildung. Vornehmlich Komparatisten wie David Damrosch, Haun Saussy oder Richard Rorty verdanken wir entscheidende Vorarbeiten in der Definition und Klassifikation, die auch in dieses Buch eingeflossen sind. Die US-amerikanische Literaturszene hat die Zuwanderer inzwischen wie selbstverständlich eingemeindet. Als die Zeitschrift «New Yorker» 2010 ihre viel beachtete Liste «Twenty under Forty» veröffentlichte, die zwanzig amerikanische Autoren versammelt, die jünger als vierzig Jahre und nach Meinung der Redaktion vielversprechend sind, da waren fast die Hälfte davon Migranten oder Migrantenkinder aus Afrika, China, Osteuropa und Ex-Jugoslawien. Und sogar die Schwedische Akademie hat sich inzwischen von ihrem jahrzehntelang gepflegten hegemonialen Eurozentrismus verabschiedet. Die Vergabe des Literaturnobelpreises an den Nigerianer Wole Soyinka signalisierte 1986 eine Ãffnung ins Globale. Das Nobel-Komitee versteht sich seither zunehmend als Labor der neuen Weltliteratur, zeichnet immer mehr auÃereuropäische und migrantiseheAutoren aus ehemaligen Kolonien aus und hilft so, den mächtig anwachsenden, aber höchst fluktuierenden Gegenkanon der globalen Literaturen zu etablieren und im westlichen Bewusstsein zu verankern.
Im deutschsprachigen Raum hingegen ist die globale Literatur bislang nur am Rande wahrgenommen worden, auch wenn seit einigen Jahren ein zunehmendes Ãbersetzungsinteresse zu beobachten ist: Mit zeitlicher Verzögerung wandert diese neue Weltliteratur allmählich aus den verdienstvollen Spezialverlagen in die Programme der groÃen Publikumsverlage ein, verändert deren Weltwahrnehmung, deren Arbeit am Corpus der Literatur sowie am literarischen Kanon und nicht zuletzt auch das Bild des deutschsprachigen Lesers von den Wertigkeiten in der Gegenwartsliteratur.
Diese neue Weltliteratur und ihre groÃen Erzähler sind der Gegenstand dieses Buches â soweit sie in deutscher Ãbersetzung vorliegen. Dieser neu auftauchende literarische Kontinent soll für eine deutschsprachige Leserschaft vermessen werden â in aller Vorläufigkeit und Lückenhaftigkeit. Nicht gemeint sind die strategisch geplanten Bestseller, die eine groÃindustriell erzeugte Unterhaltungsliteratur unentwegt in die Buchläden schwemmt: Globale McFiction bleibt hier auÃer Betracht.
Ausgewählt wurden rund fünfzig Autoren und Autorinnen â allesamt Migranten und Sprachwechsler. Die Mehrzahl entstammt den ehemaligen britischen Kolonien in Afrika, Nah- und Mittelost, Asien und der Karibik. Der Kreis dieser postkolonialen Erzähler wird ergänzt durch Migranten aus anderen
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