Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Saro-Wiwa hat seine Kritik an Nigerias Missständen das Leben gekostet â er wurde hingerichtet. Autoren, die sich kritisch mit den Zuständen in ihren Herkunftsländern auseinandersetzen, müssen Verfolgung und Gefängnis gewärtigen, sofern ihnen nicht, wie Nuruddin Farah, rechtzeitig dieFlucht gelingt. Gefängnistexte sind daher ein integraler Teil der Migrationsliteratur, wie das Beispiel von Autoren wie NgÅ©gÄ© wa Thiongâo, Wole Soyinka oder Abbas Khider zeigt.
Die neue Weltliteratur ist eine Literatur der Nicht-Muttersprachlichkeit. Die meisten ihrer Autoren sind Sprachwechsler. Was auch immer ihre Muttersprache gewesen sein mag, Urdu oder Marathi, Bangla, Arabisch, Amharisch, GÄ©kÅ©yÅ©, Swahili, Yoruba oder eine andere der zweitausend indigenen Sprachen, die in Afrika, oder der fast achthundert Sprachen, die auf dem indischen Subkontinent gesprochen werden: Für die groÃe Erzählung ihrer Weltwanderung wechseln fast alle aus ihrer jeweiligen Lokalsprache in die Sprache ihrer einstigen Kolonialherren â ins Französische, wenn sie aus frankophonen Kolonien stammen, ins Englische, wenn das britische Empire ihre Herkunftsregion ist, und das immer auf die Gefahr hin, dass man in einer Sprache auch gedacht wird, sobald man in ihr zu denken beginnt. Der Ambivalenz dieser literarischen Strategie sind sie sich durchaus bewusst, formulieren sie doch ihren Widerstand gegen kulturimperialistische AnmaÃungen in der Sprache derer, gegen die sich ihr Widerstand richtet.
Diese Autoren schreiben eine Literatur mit Akzent. Die Kolonialsprache wird in der Neuaneignung verändert und angepasst, sogar in eine neue Sprache umgestaltet â kreolisiert. Im Gefolge Ãdouard Glissants und Patrick Chamoiseaus, zweier Autoren von der französischen Antilleninsel Martinique und Vordenker zu Fragen postkolonialer Identität, haben vor allem die karibischen Autoren die französische Sprache «gekapert, legitimiert und adoptiert. Wir haben sie uns angeeignet. Wir haben die Bedeutung bestimmter Wörter erweitert. Wir haben die Bedeutung anderer verändert. Und vieles verwandelt. Wir haben sie angereichert, in ihrem Wortschatz wie in ihrer Syntax. Kurz, wir haben uns in ihr eingenistet.» So liest man in dem Manifest «Lob der Kreolität»
(Ãloge de la créolité),
das Patrick Chamoiseau 1989 gemeinsam mit dem Linguisten Jean Bernabé und dem Schriftsteller Raphaël Confiant publizierte.
Ãhnliches reklamiert Salman Rushdie auch für die Aneignung des Englischen: «Die Menschen, die einst von der Sprache kolonisiertwurden, formen sie jetzt sehr schnell um, domestizieren sie, gebrauchen sie immer selbstverständlicher. Von der enormen Flexibilität und Reichhaltigkeit der englischen Sprache unterstützt, erobern sie sich innerhalb ihrer Grenzen weitläufige eigene Territorien», schreibt er in seinem Essay «Es gibt keine â¹Commonwealth-Literatur»âº.
Nicht nur Autoren aus den britischen Ex-Kolonien, auch Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien oder jüdische Asylanten aus der ehemaligen Sowjetunion schreiben ihre literarischen Werke vorzugsweise auf Englisch, denn dies ist die globale Verkehrssprache, die in über hundert Ländern gesprochen wird. Sie stellt daher das vorteilhafteste Kommunikationsmittel dar, wenn man den literarischen Weltmarkt erreichen will. «Englisch ist die Zukunft der indischen Literatur», sagt der indische Autor Kiran Nagarkar, der von Marathi in die Sprache der Kolonialherren gewechselt hat. Und der Kenianer NgÅ«gÄ© wa Thiongâo, der demonstrativ aus dem Englischen in seine Muttersprache zurückwechselte und seine Romane eine Zeitlang auf GÄ©kÅ©yÅ© schrieb, sieht sich gleichwohl genötigt, sie selbst danach ins Englische zu übersetzen, will er als Welt-Autor wahrgenommen werden.
Englisch ist eine besonders demokratische Sprache. Man kann sich der englischsprachigen Literatur von überall her zugesellen: «Jeder kann die englische Sprache zu seiner Heimat erklären, und niemand kann aus ihr verbannt werden», sagt etwa der Schriftsteller Aleksandar Hemon, ein gebürtiger Bosnier aus Sarajevo mit serbischen und ukrainischen Wurzeln, der vor den Balkankriegen nach Chicago ausgewichen ist und seine Bücher auf Englisch schreibt. Bei ihm kann man nachlesen, wie mühselig ein solcher Sprachwechsel sein kann: Hemon vermochte sich erst nach einer langen
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