Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
geschriebenes) literarisches Debüt.
Mueenuddin erzählt darin von Dekadenz und Niedergang der alten Feudalgesellschaft Pakistans, aus Herren- und aus Dienerperspektive und mit dem distanzierten Blick des westlich sozialisierten Kulturpendlers zwischen Ost und West. Er verknüpft acht Erzählungen, denen Schauplatz und Personal gemeinsam sind: die ländliche Region Punjab am Indus und deren müÃiggängerische, immer noch steinreiche Oberschicht, die seit britischen Kolonialzeiten im Lebensstil anglifiziert ist und ihren pseudobritischen Habitus pflegt, samt ihren Domestiken â Gutsverwalter, Chauffeure, Gärtner, Köche und Diener. Wie in jeder traditionellen Gesellschaft sinkt der Status langsamer als der Reichtum, doch der Reichtum sinkt definitiv.
Im Zentrum steht der Patriarch K. K. Harouni in seinen letzten Lebensjahren, die er zwischen seiner Stadtresidenz in Lahore und seinem Landgut in Dunyapur verbringt. Er pflegt seinen altgewohnten, inzwischen etwas schleiÃig gewordenen aristokratischen Lebensstil, für dessen Aufrechterhaltung er bereits viel Land verkaufen musste â und für die Finanzierung seiner kostspieligen unternehmerischen Fehlschlage.Er kümmert sich nicht um die Wirtschaft, verabsäumt es aus Trägheit, seinen Nachlass zu ordnen, und sieht gleichgültig zu, wie sein korrupter Verwalter sich betrügerisch an ihm bereichert und wie die Dienerschaft ihn hinten und vorne bestiehlt. «Harouni ging Unannehmlichkeiten um jeden Preis aus dem Weg, denn er lebte in einer derart geregelten und abgeschlossenen Welt wie der des Sonnenkönigs in Versailles.»
Seiner Ehefrau, der Begum Harouni, ist er entfremdet, seine Töchter leben in Karachi, New York und Paris. Vereinsamt nimmt er die junge Husna, eine entfernte Verwandte aus einem verarmten Zweig der Familie, bei sich auf, erst als Dienerin, dann als seine Mätresse. Nach dem Tod des Alten bricht alles auseinander. Wie sich herausstellt, hat er für nichts und niemanden vorgesorgt, seine Geliebte wurde ebenso wenig bedacht wie die treuen alten Diener. Husna wird von den eingeflogenen Töchtern, die sofort das Kommando übernehmen, gedemütigt und ohne eine Rupie vom Hof gejagt, die Dienerschaft steht vor dem Nichts, allenfalls der Kammerdiener und der Koch, seit einem halben Jahrhundert in Diensten der Familie, werden zu anderen Jobs weitervermittelt.
Die Töchter verscherbeln den Besitz. Die jüngeren Mitglieder der Harouni-Familie sind entweder einflussreiche Unternehmer geworden oder party- und konsumsüchtige Nichtstuer und Verschwender des elterlichen Reichtums, die sich vor allem dafür interessieren, wie man verbotene Alkoholika, die bei den christlichen Schwarzhändlern in Islamabad nicht zu bekommen sind, ins Land schmuggeln könnte, etwa per Barkasse von Dubai nach Karachi. Ein junger Gutserbe, der seine Landwirtschaft als modernes Mustergut zu führen versucht, korruptionsfrei und mit fairen Arbeitslöhnen, erntet bei der trägen und verderbten Jeunesse dorée von Islamabad nur mokantes Kopfschütteln und kommt rasch in den Ruf eines Langweilers und Sonderlings.
Den Frauen gilt das besondere Interesse des Autors in diesen Geschichten. Die meisten benutzen Sex als das einzige ihnen zu Gebote stehende Ticket zum Aufstieg in der hierarchischen, patriarchalischen Gesellschaft. Liebesaffären sind hier immer merkantile Transaktionen. Die Unterschichtfrauen â Dienerinnen, Küchenhilfen, Haushälterinnenâ versuchen, sich berechnend beim nächstbesten Chef hochzuschlafen â beim Koch, beim Kammerdiener, beim Verwalter â, nur um nach Gebrauch abgelegt und ins Elend gestoÃen zu werden. Die Oberschichtfrauen erschlafen sich Einfluss und Hintergrundmacht bei ihren Männern und manipulieren sie so lange nach ihrem Willen, bis das Alter ihre Autorität unterhöhlt. Dann werden sie entweder verstoÃen wie die Begum Harouni oder sie werden «eine dieser dünnen, scharfkantigen urbanen Frauen, die ihren Alkohol vertragen, aber davon austrocknen, die gut gekleidet sind, ohne Freude daran zu haben, und sich häufig in London aufhalten, gelangweilt».
Die gesellschaftlichen Veränderungen in Pakistan, wie Daniyal Mueenuddin sie illusionslos zeichnet, vollziehen sich nur scheinbar in einer Aufwärtsdynamik, in Wahrheit bleiben sie immer bloà horizontal. Der Fortschritt ist gar keiner. Alles bewegt sich im Kreise.
Weitere Kostenlose Bücher