Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
missbraucht werden konnte.
Aus demselben Grund wurde zwei Monate später auch der pakistanische Minderheiten-Minister Shahbaz Bhatti, der einzige Christ im Kabinett, in Islamabad Opfer eines Mordanschlags durch al-Qaida-nahe Taliban. Taseer, der «kulturelle Muslim», und Bhatti, der Katholik, hatten beide dafür plädiert, eine pakistanische Christin, eine Landarbeiterin, nicht hinzurichten, die zum Tode verurteilt worden war, weil sie Mohammed mit Jesus verglichen hatte. Ihr Plädoyer für mehr religiöse Toleranz kostete beide Politiker das Leben.
Der Fall führte zu monatelangen fundamentalistischen Unruhen in Pakistan. Taseers Mörder Mumtaz Qadri wurde zwar zum Tod durchErhängen verurteilt, doch das Höchstgericht in Islamabad schob die Vollstreckung auf, und der Richter musste wegen Todesdrohungen fluchtartig das Land verlassen. Religiöse Fanatiker, darunter nicht wenige hohe Kleriker, äuÃerten ihre Genugtuung über den Mord an Taseer, überschütteten den Attentäter Qadri im Gerichtssaal mit Rosenblättern und forderten in StraÃendemonstrationen seine Freilassung. Und dann wurde der öffentliche Druck auf die Gerichte noch einmal drastisch verstärkt. Im August 2011 wurde ein Sohn Salmaan Taseers, einer von Aatishs Halbbrüdern, in Lahore von Radikalen entführt. Sie verlangten ein horrendes Lösegeld und die Freilassung des Mörders Mumtaz Qadri. Der Entführte wurde vermutlich in Waziristan festgehalten, in der von Taliban kontrollierten Grenzregion zu Afghanistan, in der die Zentralregierung keinerlei Hoheitsrechte mehr ausübt.
Die tragische Ironie liegt darin, dass Salmaan Taseer für eben sein Selbstverständnis als «kultureller Muslim» und für seine Auffassung von «pakistanischem Ethos» ermordet wurde. In seinem Nachruf versucht der Sohn Aatish Taseer, die politische, spirituelle und patriotische Gratwanderung seines Vaters zu verdeutlichen, die ihn letztlich das Leben kostete. Er schreibt, sein Vater habe einem Idealbild von Pakistan angehangen, in dem ein Abgleiten in eine mittelalterliche Theokratie nicht vorgesehen war: «Pakistan war Teil seines Glaubens, aber er selbst war kein Mann des Glaubens. Sein Islam war nicht totalitär, auch wenn er manche seiner politischen Ideen prägte, von der Solidarität mit den Palästinensern und den Kashmiris bis zu seinem Stolz auf die muslimische Geschichte von Andalusien bis zur Mogul-Herrschaft in Indien. Er wünschte sich für sein Land keine Totalität des Islam, sondern eine Gesellschaft, die auf menschlichen Errungenschaften aufbaute, auf Wissenschaft, Rationalität und Modernität.»
Doch es ist eben nicht das Narrativ von einem toleranten, modernen Nationalstaat Pakistan, das historisch das Rennen gemacht hat, sondern das finstere Gegennarrativ eines autokratischen Scharia-Staats im permanenten Ausnahmezustand, gelenkt von Armee und Geheimdienst, ausgebeutet durch korrupte Zivilregierungen, zerrissen zwischen fremden Einflussmächten, missbraucht als Trainingslager fürJihadisten, irritiert durch das prekäre Verhältnis zu Amerika und neuerdings zudem verstrickt in blutigen Bruderzwist zwischen Sunniten und Schiiten. Pakistan präsentiert sich dem Ausland heute als eines der krawalligsten Länder der Welt, verfeindet mit den Anrainern und geschlagen mit einem Nachbarn im Dauerchaos, Afghanistan. AuÃenpolitisch steuert es einen Zickzack-Kurs zwischen Russland, den USA und China, und innenpolitisch wird es zermürbt von Staatsstreichen, Attentaten und Umstürzen, von Kriegsrecht, atomarer Aufrüstung, Mega-Korruption, Scheinwahlen und Wahlschwindel mit gefälschten Stimmzetteln, ganz abgesehen vom brenzligen Dauerkonflikt mit den Taliban, die sich selbstherrlich im Nordwesten des Landes breitmachen, in Waziristan und im Swat-Tal, das sie zeitweilig unter Kontrolle hatten. Dass Pakistan zudem ständig von Naturkatastrophen heimgesucht wird, von Erdbeben und verheerenden Ãberflutungen, vervollständigt das triste Bild.
Alle Aspekte des pakistanischen Unheils, die Aatish Taseer in seinem Buch anspricht und analysiert, sind auch Themen der pakistanischen Gegenwartsliteratur. Eine neue Generation Englisch schreibender pakistanischer Autoren arbeitet sich an ihrem Heimatland ab und thematisiert die zentrifugalen Kräfte im Lande. Doch die Literatur mobilisiert ihre eigenen, ganz anderen ästhetischen Mittel. Anders
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