Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Lebensgeschichten von Zakis Mutter, GroÃmutter, Tanten und Cousinen mit Zakis eigener Kindheit und Jugend in diesem vaterlosen Haushalt verquickt. Zwar breitet der Roman mit groÃer Redseligkeit die Hormonstürme von Zakis Adoleszenz aus, überzeugt von deren Einzigartigkeit â samt allen Schul-, Liebes- und Partygeschichten und Besäufnissen mit geschmuggeltem Alkohol; doch allemal interessanter sind die Einblicke in die politischen Debatten dieser liberalen städtischen Elite, die Mitte der 1990er Jahre die Chance wahrnehmen wollte, durch Demokratisierung den Anschluss Pakistans an die westliche Moderne zu bewerkstelligen, um den Islamismus ebenso zurückzudrängen wie den Einfluss des Militärs, des Geheimdienstes ISI und der alten kolonialen Substanzen in der Gesellschaft â und all dies unter der Bannerfigur Benazir Bhutto.
Wortführerin und Aktivistin der Reformbestrebungen im Roman ist Zakis Mutter. Sie ist (wie Ali Sethis Mutter auch) die Herausgeberin einer kritischen Wochenzeitschrift, die sich mit korrupten Politikern ebenso anlegt wie mit dem Anti-Modernismus der Fundamentalisten. Sie kämpft für die Abschaffung der frauenfeindlichen «Finsteren Gesetze», die von der Militärregierung unter Zia ul-Haq im Namen des Islam eingeführt wurden. Vor allem jedoch kämpft sie für Benazir Bhutto: Sie organisiert StraÃendemonstrationen, als die Premierministerin 1990 wegen Korruptionsvorwürfen zum ersten Mal entmachtet wird;und nach Benazirs Wiederwahl 1993 stellt sie in ihren Leitartikeln einen Forderungskatalog nach dem anderen auf, wie die Lage der Frauen verbessert werden müsste, vor allem in den rückständigen Provinzen. Ãber allen Aufbruchsaktivismus legt sich jedoch bleiern die Ahnung, dass Benazir Bhutto nicht die erhoffte Reformerin und demokratische Lichtgestalt sein wird und die antimodernen Kräfte nur auf ihre Stunde lauern, um den ganzen Demokratisierungsspuk hinwegzufegen.
Wie Ali Sethi nimmt auch Mohammed Hanif die aufbegehrenden Frauen in den Blick â allerdings nicht die privilegierten, sondern die vom untersten Rand der Gesellschaft. Zur Heldin seines zweiten Romans macht er eine dreifach sozial stigmatisierte Frau, die wohl auÃer ihm kein muslimischer Mann im heutigen Pakistan einer literarischen Darstellung für würdig erachten dürfte. Nachdem sich Hanif bereits mit seinem Debütroman «Eine Kiste explodierender Mangos», einer bösen Groteske über das Attentat auf den Militärdiktator Zia ul-Haq, als politischer Satiriker einen glänzenden Namen gemacht hat, wendet er sich in «Alice Bhattis Himmelfahrt» einem anderen brisanten Thema zu â dem religiösen Fanatismus unter pakistanischen Sunniten in seiner mörderischen Variante.
Die christliche Minderheit macht zwar weniger als zwei Prozent der überwiegend sunnitischen Bevölkerung Pakistans aus, doch die Drohungen, Attentate und Ãbergriffe gegen Christen nehmen seit Jahren zu. Das Blasphemie-Gesetz, 1986 unter Zia ul-Haq eingeführt, dient dabei als Rechtfertigung für die Verfolgung von Christen, bis hin zu Brandanschlägen, Massakern und Lynchmorden. Die Todesstrafe, verhängt für eine abschätzige Bemerkung über den Propheten unter streitenden Tagelöhnerinnen auf irgendeinem entlegenen Landgut, erregte ebenso Aufsehen im Ausland wie die Ermordung des christlichen Ministers Shahbaz Bhatti und Salmaan Taseers, des Gouverneurs von Punjab, weil sie sich in diesem Fall für eine Aussetzung der Todesstrafe ausgesprochen hatten. Mohammed Hanif sticht mit seinem Roman also in ein Wespennest.
Der Autor hat in seinem zweiten Roman nach seiner Diktatur-Groteske zwar die Zeit, das Milieu, das Personal und die Thematik gewechselt, nicht aber den sarkastischen Ton und den grimmigen Blickauf die Grundübel der pakistanischen Gesellschaft: Neben dem Kastenwesen, das dem islamischen Gleichheitsgebot zum Trotz weiterbesteht, neben der Korruption und dem ethnischen Hass sind dies vor allem die Konfessionskämpfe zwischen Muslimen und Christen sowie die kulturell tief verwurzelte brutale Frauenverachtung eines islamischen Machismo, der sich auf eine aggressive Lesart patriarchalischer Koran-Stellen abstützt und durch keinerlei Erziehungsprogramm aus seinen archaischen Angeln gehoben wird.
Schauplatz ist Karachi, eine der gefährlichsten Städte der Welt. In «Alice Bhattis Himmelfahrt» muss Hanif die
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