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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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Manipulation und Schmiergeld in allen sozialen und politischen Bereichen sind der Motor dieser Gesellschaft: Verlogene Komplimente, korrupte Machenschaften auf Gegenseitigkeit, geschmierte Gunsterweise und geschickt platzierte Gefallen, in schwachen Momenten erbeten und aus Kalkül gewährt, halten diese Geschichten und diese Gesellschaft zusammen.
    Mit der gutsherrlichen Klasse geht es zu Ende – sie lebt zwar noch in großem Stil auf ihren Ländereien, lässt aber die Wirtschaft schleifen und sieht gleichgültig zu, wie sich eine neu emporkommende Schicht von korrupten Beamten, Richtern, Verwaltern, Managern und Politikern durch Veruntreuung an ihrem uralten Besitz bereichert und untereinander um die Macht kungelt. Die alte Oberschicht duldet nicht nur Korruption und Unterschleif der aufsteigenden Klasse, durch ihre hochmütige Lethargie begünstigt sie geradezu die Misswirtschaft und dient ihr als honorige Fassade. Wie beispielsweise der Baron Harouni, der ehrenhalber in diversen Aufsichtsräten sitzt, etwa im Aufsichtsrat der Staatsbank: «Eines der Ämter, die er immer noch innehatte, eine Sinekure – über die tatsächliche Politik wurde anderswo entschieden, und Harouni und weitere Eminenzen halfen ohne ihr Wissen mit, Manipulationen und die Selbstbereicherung anderer zu decken.»
    Daniyal Mueenuddin kann in sparsamen, präzisen Strichen einprägnantes Gesellschaftspanorama zeichnen, so unbestechlich in der Menschenkenntnis und so kühl und knapp im Stil wie Tschechow. Der Ton seiner Erzählungen ist nüchtern, eindringlich und ohne Illusionen. Der Autor hat ein scharfes Auge für die Umbrüche in der pakistanischen Gesellschaft, doch seine Sozialkritik dämpft nicht seine wache Neugierde auf die einzelnen Menschen und deren Verhaltensweisen.
    Auffallend ist, dass die jüngere Generation pakistanischer Autoren zumeist ganz ähnlichen Milieus entstammt – der gebildeten säkularen Elite liberaler, regimekritischer, weitläufiger, urbaner Intellektueller. Sie stammen aus wohlhabenden Familien, zumeist aus dem Punjab, die es sich leisten können, ihre Söhne zum Studium nach Amerika oder England zu schicken. Wie Daniyal Mueenuddin – und Aatish Taseer – haben auch Ali Sethi, Sohn eines prominenten Journalistenpaares in Lahore, und Mohsin Hamid, Sohn eines Universitätsprofessors in Lahore, ihre Ausbildung an amerikanischen Elite-Universitäten absolviert, Sethi in Harvard, Hamid in Princeton und an der
Harvard Law School.
Ihre Lebensführung ist kosmopolitisch, sie pendeln souverän zwischen Pakistan, Europa und den USA und schreiben ihre Bücher auf Englisch.
    Die Autoren Mohammed Hanif und Nadeem Aslam hingegen passen nicht ganz in dieses Muster. Sie gehören dieser schmalen, privilegierten Gesellschaftsschicht nicht an und sind auf anderen Wegen zur Literatur gekommen. Mohammed Hanif war Pilot der pakistanischen Luftwaffe, bevor er eine Karriere als Journalist und Schriftsteller einschlug. Er arbeitete erst bei der BBC in London und lebt heute als BBC-Korrespondent in Karachi. Und Nadeem Aslam entstammt einer Familie politischer Flüchtlinge. Er war vierzehn, als sein Vater, ein Filmregisseur und überzeugter Kommunist, 1980 mit seiner Familie vor der Verfolgung durch Zia ul-Haq nach England floh und sich wie Tausende andere arme pakistanische Einwanderer im nordenglischen Yorkshire niederließ (siehe das Kapitel «Das Rätsel der Ankunft. In den indischen Enklaven»).
    Mit seinem Debütroman «Meister der Wünsche» möchte Ali Sethi, Jahrgang 1984, eigenem Bekunden nach die Missverständnisse ausräumen,die über sein Land weltweit im Umlauf sind. Der junge Autor zeichnet ein lebhaftes und plastisches Bild der Denk- und Lebensweise einer privilegierten bürgerlichen Familie in Lahore, die deutlich seiner eigenen nachgebildet ist. Zugleich fängt er das zeittypische Lebensgefühl der 1990er Jahre ein, als sich die aufgeklärte urbane Intelligenz Pakistans von der Regierung Benazir Bhuttos einen politischen Aufbruch und eine Demokratisierung der Gesellschaft versprach.
    Sethis Perspektivfigur ist der junge Zaki, der von seinem amerikanischen College nach Lahore heimfliegt, um an der Hochzeit seiner Lieblingscousine teilzunehmen. Aus dieser schmalen Rahmenhandlung entwickelt Ali Sethi eine Drei-Generationen-Saga, fokussiert vornehmlich auf die weiblichen Familienmitglieder, indem er die

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