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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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als der Journalist und Reporter Taseer erläutert und kommentiert sie nicht, sondern erzählt und beschreibt – einprägsam und anschaulich.
    Die pakistanischen Autoren gehen all den Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten des Landes nach und verwandeln sie in leuchtende Erzählungen. Ihre Romane und Geschichten führen in die unzugänglichen Stammesgebiete der Hirtennomaden in der Grenzregion zu Afghanistan ebenso wie in die Ghettos der drangsalierten christlichen Minderheit in Karachi, in die säkulare Welt der urbanen Neureichen, die unter Benazir Bhutto in den 1990er Jahren zu prosperieren begannen, und in die alte Feudalgesellschaft der Großgrundbesitzer, die immer noch das ländliche Pakistan beherrschen. Das Trauma der Staatsgründung beschäftigt die Literatur genauso wie der tödliche Titanenkampf zwischen Ali Bhutto und Zia ul-Haq oder die Aufklärung der Herrschaftsmechanismen einer islamistischen Militärdiktatur,wie Zia ul-Haq sie vorexerzierte – Themen, derer sich Salman Rushdie und Mohammed Hanif in ganz unterschiedlicher Form in ihren Romanen angenommen haben. Und dass die Schockwellen nach
Nine Eleven
auch die pakistanischen Autoren bewegen, versteht sich fast von selbst.
    Salman Rushdie hat sich an Pakistan abgearbeitet, ohne selbst ein Pakistani zu sein. Er wurde in eine muslimische Familie in Bombay, dem heutigen Mumbai, geboren und verbrachte eine glückliche Kindheit in der Windsor Villa, Warden Road, Bombay 26 – einem «Haus auf einem Hügel mit Blick aufs Meer und auf die Stadt, die sich zwischen Hügel und Meer ausbreitet», wie Rushdie in seiner Autobiographie «Joseph Anton» erzählt. Er hat es seinen Eltern später verübelt, dass sie im Alter das Haus seiner Kindheit verkauften und ins pakistanische Karachi umzogen, ohne dafür einen überzeugenden Grund angeben zu können.
    Für den Sohn war «Pakistan der große Fauxpas seiner Eltern, der Fehler, der ihn das Haus seiner Kindheit kostete. Ihm fiel es leicht, Pakistan selbst als historischen Fauxpas zu sehen, als ein ungenügend imaginiertes Land, der fehlgeleiteten Idee entsprungen, eine Religion könne Volksstämme zusammenhalten (Punjabi, Sindhi, Bengali, Beluchen und Pathanen), ein Land, geboren als missgebildeter Vogel, zwei Flügel ohne Leib, von der Landmasse seines größten Feindes getrennt, geeint durch nichts als Gott, ein Land, dessen östlicher Flügel bald abfallen sollte». Wie unheilvoll es sich auswirkt, ein «ungenügend imaginiertes Land» zu sein, das hat Salman Rushdie in seinem Pakistan-Roman «Scham und Schande» eindrucksvoll demonstriert – als der einzige Inder unter lauter pakistanischen Autoren.
    Auch Hanif Kureishi, der britische Erzähler und Filmemacher halb pakistanischer Herkunft, beurteilt die Geburtsfehler Pakistans ganz ähnlich. Seine indisch-muslimische Familie wurde durch die Teilung Indiens endgültig aufgespalten, wenn auch der Exodus der Muslime aus Indien in das spätere Pakistan schon vorher eingesetzt hatte. Für Pakistan hat der in England geborene Kureishi, ein Migrant der zweiten Generation, nichts übrig. Die Staatsgründer, schreibt er in seinen Familienerinnerungen «Mein Ohr an deinem Herzen», hätten eine Geseilschaftvor Augen gehabt, «in der sich Rassen und Religionen mischten. Sie sollte weder sozialistisch noch theokratisch sein. Religion sollte keine Staatsangelegenheit werden. Doch die Tragödie Pakistans bestand darin, dass sich das Land nicht entscheiden konnte, was es sein wollte, und auch keine Zeit hatte, um dies herauszufinden. Stattdessen kam eine korrupte Elite an die Macht.»
    Auffallend ist, wie ähnlich einheimische und migrantische Autoren Pakistan beurteilen. Für ihren unverwandt kritischen Blick auf das Land scheint es unerheblich, ob sie aus Emigrantensicht, Pendlerperspektive oder einheimischer Nahsicht schreiben. Daniyal Mueenuddin, eine der vielversprechenden neuen Stimmen der pakistanischen Literatur, ist dafür ein gutes Beispiel. Er entstammt selbst der Großgrundbesitzerklasse der alten Barone, von der sein erstes Buch handelt. Mueenuddin, Jahrgang 1963, ist in Lahore aufgewachsen, studierte an der
Yale Law School
und arbeitete als Jurist in New York, ehe er nach Pakistan zurückkehrte, um das Familiengut zu bewirtschaften und um zu schreiben. «Andere Räume, andere Träume» ist sein (auf Englisch

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