Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
minder beliebt und ebenso vielen dunklen Ritualen und verworrenen Regeln unterworfen».
Im Zentrum des Romans steht die unheilvolle und schlieÃlich wüst entgleisende Liebesgeschichte zwischen Alice und Teddy Butt, einem Muslim, Hilfspolizisten und Bodybuilder mit gewachster Brust, der dem Gentlemen-Korps angehört. Alice lässt sich wider besseres Wissen auf diese religiöse Mischehe ein, auch wenn ihr eigenes Verhältnis zu Gott mitunter ambivalent ist («Man kann nicht in
French Colony
aufwachsen, ohne bis zum Erbrechen mit Gott gefüttert zu werden. Seine Gegenwart durchdringt hier alles. Sie hat sich mit Ihm abgefunden, wie die Menschen sich mit dem Wetter abfinden»). Die Oberschwester im Krankenhaus, eine Geheimkatholikin, die sich aus Karrieregründen hinter einem muslimischen Namen tarnt und ihr christliches Altärchen daheim im Schrank versteckt, warnt Alice vor dieser Ehe, allerdings vergeblich: «Eine verheiratete Muslim-Krankenschwester ist nicht viel besser als eine ledige christliche. Du wirst höchstens doppelt versklavt.»
Die kulturelle Unverträglichkeit einer gläubigen Katholikin und eines traditionellen Muslim wird alsbald deutlich. In Teddy brodelt ein explosives Gemisch aus Religion, sexueller Frustration, Kontrollzwang, Gruppendruck und exzessiver Gewalt. Liebe ist für ihn auch nur eine Art Schutzgelderpressung. Sein Liebesüberschwang äuÃert sich in Freudenschüssen, die er mit seiner Mauser ziellos in die Luft feuert (wodurch er allerdings eine Kettenreaktion von Gewalt auslöst, die zu dreitägigen blutigen Unruhen in der Stadt führt). Und wie er seine Liebesenttäuschung ausdrückt, nämlich mittels einer Flasche Salzsäure ins Gesicht seiner Liebsten, das könnte die schreckliche Schlusspointe dieses Romans bilden, wenn nicht â¦
Wenn der Autor Mohammed Hanif nicht noch eine erstaunlicheVolte in Reserve hätte. Sein Roman besticht durch das vielschichtige und nuancierte Sozialpanorama Pakistans, das er im Mikrokosmos eines Krankenhauses auffaltet. Gewiss: Im Umfeld rund um das Krankenhaus wütet das Gentlemen-Korps, doch im Krankenhaus selbst erfährt und verströmt Alice auch Freundlichkeit, Zuwendung, Mitmenschlichkeit und selbstlose Güte. Das bringt sie zum surrealen Schluss sogar in den falschen Ruf einer Wunder wirkenden Heiligen.
Mohammed Hanif führt vor, dass religiöser Fanatismus und hysterische Leichtgläubigkeit nicht nur unter Muslimen zu finden sind. Auch bei Christen ist derlei anzutreffen, wobei der Autor auch den einen oder anderen Seitenhieb gegen Frömmelei und Scheinheiligkeit austeilt, einschlieÃlich einer spöttischen Bemerkung über die fanatische Verehrung für Mutter Teresa. Er lässt seine Alice ohne ihr eigenes Zutun im «Herz-Jesu-Krankenhaus» in den Ruf einer heiligmäÃigen Wundertäterin geraten, die ein scheinbar tot geborenes Baby zum Leben erwecken kann. Die Menschen sind entschlossen, sie als Heilige zu verehren, ungeachtet der Skepsis, mit der Alice der Hysterie um ihre Person begegnet: «Alice weiÃ, was Glaube ist. Er ist die immer gleiche, uralte Furcht vor dem Tod â nur im Partykleid.» Gleichwohl finden sich Menschen, die bezeugen, sie hätten mit eigenen Augen Alice in den Himmel auffahren sehen. Ihr frommer Vater beantragt im Vatikan prompt ihre Seligsprechung.
Auch wenn Mohammed Hanif hier auf dem schmalen Grat einer distanzierenden Ironie balanciert, verliert er das Hauptgeschäft seines Romans doch nie aus den Augen. Bei aller beklemmenden Unterhaltsamkeit ist «Alice Bhattis Himmelfahrt» der Roman eines frauenpolitisch engagierten zornigen Humanisten â und das ist beinahe ein Alleinstellungsmerkmal in der pakistanischen Gegenwartsliteratur.
Es gibt allerdings auch einen Humanismus der milden und abgeklärten, nicht-zornigen Art. Ein solcher lässt sich beim ältesten Debütanten der pakistanischen Literatur finden, bei Jamil Ahmad, der 1933 im Punjab geboren wurde, zu jener Zeit noch Britisch-Indien. Ahmad diente sein Leben lang als pakistanischer Staatsbeamter in der Verwaltung der entlegenen Provinzen im Westen: in Beluchistan und Waziristan, im Swat-Tal und in den übrigen
Tribal Areas
entlang derafghanisch-pakistanischen Grenze und in der nordwestlichen Grenzregion am Hindukusch. Er betrachtete sein Amt als das eines verständnisvollen Moderators, der für einen Interessenausgleich
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