Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Hängenden Gärten von Babylon inspirieren, was man an den abgestuften Stockwerken und den üppigen Bepflanzungen ansatzweise erkennen kann. In Indien zählen andere Vergleiche. Das Bombayer Haus sei das »Taj Mahal des 21. Jahrhunderts«, schwelgte Romanautorin Shobhaa Dé, einheimische Chronistin der Schönen und Reichen, die bei der Einweihung dabei sein durfte. Und verstieg sich gleich noch zu einem anderen, nicht weniger absurden Vergleich: »Das Schloss von Versailles ist dagegen nur ein armer Cousin.« Für so viel Kniefall durfte sie dann auch mal in dem Familien-Airbus mitfliegen.
Bombay, kein Zweifel, hebt ab.
Unternehmergeist und zur Schau gestellter Reichtum seiner wirtschaftlichen und kulturellen Avantgarde wirken auf die Menschen stimulierend wie ein Antriebsmotor, es ist die Stadt der Dynamischen, der Zukunftsgläubigen – sagen die einen. Diese Stadt mag mal hier und da einen »Slumdog Millionaire« hervorbringen, aber sie ist in weiten Teilen zur Ausbeutung verdammt, kann sich, will sich nur auf Kosten ihrer Ärmsten sanieren – sagen die anderen. Nur in einem sind sich alle einig, die ausländischen Fachleute für Stadtentwicklung, die journalistischen Beobachter, die hier Geborenen und die vielen Zugezogenen: Bombay prägt die Entwicklung dieses Landes wie kein anderer Ort. Der bedeutendste Hafen, die älteste Börse, die wichtigsten Banken, die größten Filmstudios sind hier zu finden. Bombay kommt für mehr als ein Drittel der Steuern im indischen Staatshaushalt auf, gut 40 Prozent aller Auslandsflüge starten und landen von seinem Airport. Und immer noch wirkt die Stadt wie ein Magnet: Täglich strömen Tausende aus anderen Landesteilen in die Metropole, um hier ihr Glück zu suchen. Sie kampieren auf Gehsteigen, eineinhalb Millionen schlafen derzeit im Freien. Sie drängen sich in den Wellblechhütten der Slums. Sie schlüpfen bei Verwandten oder Bekannten unter. Nach einer UNO -Schätzung wird Groß-Bombay im Jahr 2015 knapp hinter dem Großraum Tokio der größte Ballungsraum der Erde sein und dann wohl bald auch diesen überholen. Mit mehr Menschen, als in Australien oder Skandinavien leben.
»Wenn Sie das neue Indien kennenlernen wollen mit seinen schwindelerregenden Versprechen, mit seinen Turbo-Ambitionen, dann reisen Sie hierher, in seine chaotischste, aufreizende Metropole«, empfiehlt das amerikanische Nachrichtenmagazin Time. Der aus New York heimgekehrte Autor Suketu Mehta geht noch weiter: »Bombay verkörpert die Zukunft der urbanen Zivilisation auf der Erde«, schreibt er über seine Stadt – und leugnet nicht, dass ihm das Angst macht. »Gott stehe uns bei.«
In Bombay kann man leicht sterben, aggressiv ist der Verkehr, mörderisch sind die in manchen Gegenden tobenden nächtlichen Gangsterkriege. Niemals aber, keine Sekunde lang, lässt sich in dieser energiegeladenen, vibrierenden, alle Sinne überwältigenden Stadt eines vergessen: dass man am Leben ist. Und es scheint hier immer auch das Gegenbeispiel für das zu geben, was einen stört, für das, was man anprangern will. So existiert neben dem verschwenderischen, egomanischen auch der bescheidene, philanthropische Unternehmer.
Besuch im Hauptquartier der Godrej Group, einem der großen indischen Firmenkonglomerate Bombays mit Sitz in Vikhroli, einem Vorort im Nordosten. Der Chef des fast 120 Jahre alten Familienunternehmens heißt Adi Godrej, auch seine drei Kinder sind in der Firma aktiv. Sie stellt von Küchengeräten über Kosmetika bis Safes und Sofas so ziemlich alles her, was der Konsument im täglichen Leben braucht. Die Firmengruppe hat die Produktpalette aber längst auch auf den Hightech-Bereich ausgeweitet – bis hin zu Raketenbestandteilen. Sie beschäftigt etwa 10000 Menschen und verfügt über riesigen Landbesitz. Das Vermögen des Patriarchen wird von Forbes auf neun Milliarden Dollar geschätzt. Das ist nicht ganz die Klasse der Ambani-Brüder, aber es reicht für Platz sechs unter den reichsten Indern.
Adi Godrejs Büro hat so gar nichts Protziges. Bescheidenheit und soziales Engagement werden ihm von seiner Religionsgemeinschaft vorgeschrieben: »Gute Gedanken, gute Worte, gute Taten«, heißt der Ehrenkodex der Parsen. Ihre strikten Grundsätze – Bekehrungen zu diesem Glauben sind ebenso verboten wie Mischehen – machen die Anhänger des aus Persien stammenden Zarathustra-Kults allerdings zu einer aussterbenden Gattung. Die Gemeinde von Bombay zählt nur noch 45000 Menschen, und das sind die
Weitere Kostenlose Bücher