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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Berührung kommen. Die Jainas achten auch Regenwürmer, schützen sie wie jede Kreatur, und holen sie Kartoffeln aus der Erde, vermeiden sie spitze Schaufeln und graben lieber mit den Händen. Für die Parsen sind die Geier besonders wichtig, nach Sitte der Religionsgemeinschaft sollen sie die auf den »Türmen des Schweigens« aufgebahrten menschlichen Überreste umweltgerecht beseitigen. Eine gesetzliche Verordnung regelt, welchen Mindestraum Eseln, Büffeln und Ziegen beim Güterwagentransport zusteht. Jeder Verstoß kann gemäß den Disziplinarrichtlinien der staatlichen Eisenbahn geahndet werden. Und so sind alle Lebewesen in Bombay irgendwie geschützt. Fast alle. Ausgenommen: die Menschen.
    Die Eisenbahnwaggons der indischen Metropole werden nie wegen lebensgefährlicher Überfüllung durch Passagiere geschlossen, einen Anspruch auf Steh- oder auch nur Stauraum gibt es nicht. Die Pendlerzüge der Harbour Line und der Western Railway gelten als Lebensadern der Stadt, sie verbinden die Vororte mit der Landzunge der Innenstadt, die fünfmal so dicht besiedelt ist wie die von Berlin und sogar dichter als die der »Konkurrenz«-Metropolen Schanghai und Rio; durchschnittlich kommen 4,7 Personen auf ein Zimmer. Sechs Millionen Menschen drängeln sich täglich in die altersschwachen Waggons. Hunderte hängen abenteuerlich weit aus den offenen Türen oder stapeln sich sogar unter Lebensgefahr auf die Zugdächer. Sogar Bhavan, der geübte und leidgeprüfte Pendler, sagt beim frühmorgendlichen Einsteigen: »Vor dem Rückweg in der Hauptverkehrszeit graut mir immer.«
    Seine täglichen Fahrten führen an Slums vorbei. Der Fahrtwind wirbelt dort Plastikplanen an Gleisen auf, unter denen die Ärmsten mit ihren verlausten Kleinkindern hausen wie in einem apokalyptischen Alptraum. Sie passieren, nur einen Meter entfernt, die Balkone der Mittelklassefamilien, auf denen sich Menschen waschen und ankleiden, entblößt vor der Außenwelt, »damit die Menschen drinnen, die ihnen wichtig sind, sie nicht nackt sehen«, wie mein guter Bekannter, der Bombay-Kenner Altaf Tyrewala einmal geschrieben hat. Und irgendwann ist es dann Zeit für die Züge, an den Hauptstationen ihre Fracht wieder auszuspucken, zerknitterte Menschen, die nun – Falten im Hemd notdürftig zurechtzupfend, die verklebten Haarsträhnen zurückstreichend – in ihre Büros oder nach Hause eilen.
    Die Eisenbahn ist Puls der Stadt, Symbol für alles Großartige und Grausame dieser Metropole im permanenten Ausnahmezustand. Unter den Passagieren herrscht eine verblüffende, von nahezu allen praktizierte Solidarität, so als sei der brutale Konkurrenzkampf während der Fahrzeit vorübergehend ausgesetzt. Wer in letzter Sekunde zur Station eilt, wer aufspringt, wenn der Zug schon angefahren ist, dem strecken sich Dutzende Hände entgegen. Er kann sich darauf verlassen, an Bord gehievt und dort gehalten zu werden. Unachtsamkeit und Übermut sind dennoch große Gefahren. Etwa 3500 Menschen sterben jährlich bei Unfällen in und um die Bombayer Eisenbahn: Sie werden beim Überqueren der Gleise mitgerissen; sie lehnen sich zu weit aus dem Fenster und werden von Strommasten geköpft; sie knallen, auf den Zugdächer stehend, gegen Brückenbögen oder verfangen sich in Leitungen.
    Über diese Gefahren gehen die Bewohner von Bombay achselzuckend hinweg. Auch der Frösche-Schlachter Bhavan empfindet seinen täglichen Weg eher unbequem als gefährlich. Angst hat er nur vor dem Terror, der die Stadt in unregelmäßigen Abständen heimsucht und sie auseinanderzureißen droht. Terror, der überall zuschlagen kann. In seinem Slum, wenn Hindus die Muslime provozieren, indem sie unreine Schweine durch die kleine Moschee treiben, oder umgekehrt, wenn die heiligen Kühe gequält werden. 1993 war es am schlimmsten. Da gab es Wochen, in denen die Bombayer aufhörten, Nachbarn zu sein. Aufhörten, sich als Schuster, Schneider, Schweißer zu definieren; es war die Zeit, als jeder nur noch Hindu oder Muslim war und der von Religionsfanatikern geschürte Hass an die tausend Menschen das Leben kostete. Am 11. Juli 2006 gingen dann an sieben Bahnstationen der Stadt Bomben hoch, 207 Menschen starben. Doch obwohl die Behörden bekanntgaben, dass islamistische Gewalttäter das Blutbad angerichtet hatten, gab es keine Rache. Die Bombayer hielten zusammen, die Stadt bestand diese Reifeprüfung.
    Der Terror ist dann noch einmal mit einem großen, international geplanten Anschlag wiedergekommen. Am

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