Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
26. November 2008 überfielen zehn pakistanische Attentäter, die übers Meer gekommen waren, die Innenstadt, warfen Granaten und zielten mit ihren Schnellfeuergewehren in Menschenmengen. An zentralen Stellen der Stadt, im Luxushotel Oberoi und im Café Leopold, nahmen sie Geiseln, und im Taj-Mahal-Hotel, dem Wahrzeichen am Hafen, verbarrikadierten sie sich 60 Stunden lang, töteten Angestellte wie Gäste und zündeten fast die gesamte Vorderfont an. Erst nach drei Tagen gelang es den überforderten Ordnungshütern endgültig, dem grausamen Spuk ein Ende zu machen. Bis auf einen Attentäter wurden alle erschossen; es kamen aber auch 174 Unschuldige ums Leben. Bombay war unter Schock. Doch auch nach diesem Schlag – für Bombay so schwer wie 9/11 für New York – hat sich die Stadt erstaunlich schnell erholt. Die Züge fuhren schon am Tag nach dem großen Aufräumen wieder pünktlich, beziehungsweise unpünktlich, wie immer. Die Börsianer veranstalteten kurz darauf ein Kursfeuerwerk, als wollten sie den Terror mit einer Trotzreaktion in die Schranken weisen.
Die einfachen Leute wie Bhavan hat jedoch die Hilflosigkeit der Polizei, der Dilettantismus der sogenannten Spezialeinheiten, entsetzt. Ajmal Kasab, der einzige gefasste Täter, ist nach einem rechtsstaatlichen Verfahren zum Tode verurteilt und am 21. November 2012 durch den Strang hingerichtet worden. Es war das erste Mal seit fast einem Jahrzehnt, dass ein solches Urteil vollstreckt wurde. »Höchste Zeit, das musste sein, damit die Geschichte ihren Abschluss findet«, meint Bhavan.
Neun Uhr morgens, bei den Fröschen ist nun schon zweite Schicht. Die Jogger sind längst unter der Dusche, die Hitze verhindert jede nicht unbedingt notwendige Körperbewegung. Es gibt die ersten Staus auf den Straßen, fliegende Händler fluchen über die Rücksichtslosigkeit der Taxifahrer, und auch die Bettler bringen sich jetzt in Position. 300000 sind es angeblich, aber im Stadtbild fallen sie nur an bestimmten Stellen auf. Der »Club der Bettler« – ja, auch die Ärmsten der Armen sind organisiert – setzt Kinder und Krüppel an strategischen, von Touristen besuchten Stellen ein: Die Plätze werden regelrecht zugewiesen, die Organisatoren machen mit ihren Pick-ups Kontrollfahrten und kassieren prozentual mit ab. Betteleindringlinge von außen haben keine Chance. Auch nicht vor den Dutzenden Diätkliniken und Schönheitszentren, wo sich die Reichen das Fett absaugen lassen und möglicherweise ihr schlechtes Gewissen mit ein paar Rupien kompensieren.
Die Stadt pumpt sich nun voll mit Adrenalin, Steroide könnten auch dabei sein, sie lässt jedenfalls erstaunliche Muskeln spielen. Im Starbucks am zentralen Colaba-Hafen, eine von vier Filialen, die von der amerikanischen Kette aus Seattle hier innerhalb eines Monats eröffnet wurden, herrscht Hochbetrieb, Wartezeit 15 Minuten. Frappucino und Espresso im Tee-Land Indien, zu gesalzenen Preisen, umgerechnet je zwei Euro. Doch das Ambiente ist schick, und die neue Mittelschicht kann es sich leisten, für ein Getränk so viel auszugeben, wie ein ungelernter Arbeiter in Bombay am Tag verdient. Das leidgeprüfte Taj-Mahal-Hotel, dem das neue Starbucks angeschlossen ist, strahlt nach zweijähriger, sehr kostspieliger Renovierung wieder im alten Glanz. Es gehört zur Firmengruppe des Tycoons Ratan Tata, der es sich leisten kann, jeden Aufwand zu betreiben. Das Unternehmen, das er bis zu seiner Selbstpensionierung als 75-Jähriger Ende 2012 geleitet hat, kontrolliert Hotelketten und Stahlwerke und kaufte unter anderem den Luxuswagenhersteller Jaguar – von einer »umgekehrten Kolonialisierung« schrieb nach dieser Erwerbung stolz das Magazin India Today .
Die glanzvolle Wiedereröffnung des Taj war wohl auch wegen der Hotelgeschichte familiäre Ehrensache: Jamsetji Tata, Begründer des Imperiums, war einst wegen seiner Hautfarbe von den britischen Autoritäten der Zugang zum Watson, dem bis dahin besten Hotel in Bombay, verwehrt worden. Daraufhin hatte er sich entschlossen, es den fremden Herren zu zeigen und ein noch viel luxuriöses, eigenes Hotel zu bauen. Er benannte es ganz unbritisch nach der berühmtesten indischen Grabmoschee. Seit der Einweihung 1903 ist es durchgehend das erste Haus am Platze. Das Taj mit seiner Zuckerbäckerfassade, die indische, arabische und viktorianische Elemente verbinden soll, hat allerdings an Charme eingebüßt. Bei meinen früheren Reisen nach Bombay in den Siebziger-, Achtziger- und
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