Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
hätten die »Barbaren« offensichtlich nicht ganz verstanden. Kaiser Huan (146 ‒168) war der Erste in einer langen Reihe von Herrschern, die sowohl Laozi als auch Buddha verehrten und ihnen gemeinsam Opfer brachten. In der Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert setzte sich dann der sanfte Glaube in weiten Strecken des Landes durch. In Tibet, auf dem so schwer zugänglichen, eigenständigen Dach der Welt, dauerte es noch etwas länger, erst unter König Thrisong Detsen wurde der Buddhismus im späten 8. Jahrhundert Staatsreligion. Freilich in seiner eigenen Ausprägung, gemischt mit Elementen des Natur- und Geisterglaubens Bön.
Es ist hier nicht der Platz, um auf die wechselvolle Beziehung Tibets mit dem Reich der Mitte im Detail einzugehen. Historiker auf beiden Seiten interpretieren die Ereignisse einseitig – mit dem Ziel, ihre Politik zu rechtfertigen. Glaubt man manchen der radikalen Vertreter der Tibetischen Jugendliga, so gab es nur endlose, bösartige Unterdrückungsversuche durch die Han-Chinesen. Mit der Absicht, alle Menschen auf der Himalaja-Hochebene zurückzuwerfen und den wahren, friedfertigen Charakter des dortigen Buddhismus zu unterdrücken; die Glanzzeiten Chinas seien die gewesen, als sich tibetische Führer aufmachten und große Teile des Landes beherrschten. Glaubt man den meisten der Pekinger Historiker, so waren die Tibeter im Reich der Mitte nur Usurpatoren, die Religion gilt den Parteihörigen als ein Mittel der Repression und als Ausdruck der Rückständigkeit; bis heute sehen die offiziellen Geschichtsschreiber der KP in den Klöstern Brutstätten des Separatismus. Der im indischen Exil lebende 14. Dalai Lama ist in ihren Augen ein »Wolf mit Menschenantlitz«, ein »Dämon« und »Teufel« und »Spalter der Nation«. Verantwortlich für solche Verbrechen wie die Anstiftung zur Selbstverbrennung tibetischer Mönche auf chinesischem Boden.
Das klingt so gar nicht nach einem Nachfahren des Siddharta Gautama, der doch die toleranteste aller Weltreligionen begründet hat. Über den Lebensweg dieses Fürstensohns aus dem nordindischen Kapilavatsu und seine Lehren gibt es ziemlich präzise, belegbare Erkenntnisse. Geboren um 560 vor Christus, verließ er mit 29 Jahren die Familie und ein sorgloses Leben im goldenen Käfig seines Palasts, um auf Wanderungen als Asket das Leben und die Leiden der normalen Menschen kennenzulernen. Fünf Jahre lang irrte Siddharta im Fetzengewand und mit Bettelschale durch die Hügellandschaft des Vor-Himalaja. Er begann zu hungern, bis seine Rippen herausstanden »wie Dachsparren eines verfallenen Hauses«, sein Gesäß so »klein wurde wie ein Ochsenhuf«, wie es in den klassischen Schriften des Pali-Kanon so plastisch heißt. Der Sinnsuchende begriff, dass die Schwächung seines Körpers auch seinen Geist in Mitleidenschaft zog. Er ging in sich und erkannte, dass man nicht alles neu erfinden musste, sondern das Rad der Welt nur neu zu justieren hatte. Er war nach den Schriften 35 Jahre alt, als er unter einem Pappelfeigenbaum in einer Vollmondnacht zum »Erleuchteten«, zum Buddha wurde. Er verkündete eine Lehre ohne einen Allmächtigen und ohne eine Seele, Spekulationen darüber, wer die Welt erschaffen haben könnte und warum, hielt er für reine Zeitverschwendung. Der Mensch selbst, verkündete er, müsse sich ohne göttliche Beihilfe von Unwissenheit und Leid zu befreien suchen, heraustreten aus dem Kreislauf der Wiedergeburten und letztendlich durch gute Taten ins Nirwana eingehen.
Buddha, der Religionsstifter: ein Pragmatiker, kein Revolutionär. Die Ansicht, dass sich die Welt im Ganzen nicht verändern lässt, hieß aber für Buddha nie, sich völlig von der Politik abzuwenden – er wollte die Weltüberwindung, das Ego war für ihn ohnehin nur Einbildung. Die Lehre, die sich nach dem Tod des Erleuchteten schnell ausbreitete, war weniger dogmatisch als Christentum oder Islam, erlaubte dem Gläubigen generell mehr Freiräume. Und sie wurde in der Neuzeit auch im Westen populär, schien vielen eine attraktive Alternative zu den monotheistische Religionen: ein Glaube, der auf Andersdenkende nicht herabschaut, Friedfertigkeit statt Inquisition, meditative Überzeugungsarbeit statt missionarische Bekehrungswut, keine Erbsünde, keine Schuld und Sühne, sondern der Mensch allein Schöpfer seines Schicksals – was könnte daran falsch sein?
»Der Buddhismus hat jedenfalls nie versucht, Andersdenkende zu bekehren, zu missionieren. In seinem Namen wurden keine
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