Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Kriege geführt, keine Menschen auf den Scheiterhaufen geworfen«, betont Hans Wolfgang Schumann, früherer Diplomat in Indien und Burma (Myanmar), Religionswissenschaftler und die deutsche Kapazität für das Leben des Siddharta Gautama. »Aber deswegen steht es noch lange nicht im Belieben des Einzelnen, was er von der Lehre akzeptiert oder nicht. Wer meditiert oder den Artenschutz propagiert, wer vegetarisch isst und mal so zum Spaß Om, mani padma hum ruft, ist deshalb noch lange kein Buddhist. Der Buddha hat selbst geraten, seine Lehre erst anzunehmen, wenn man sie gründlich für sich geprüft hat.« Und was der Professor nicht erwähnt: Natürlich hat es auch unter dem Banner des Buddhismus Unrecht gegeben – etwa in Sri Lanka, wo die buddhistischen Singhalesen durchaus mit dem Segen ihrer hochstehenden Mönche die hinduistischen Tamilen blutig bekämpften. Oder, besonders schlimm, heute in Myanmar, wo fanatisierte Mönche Muslime verfolgen.
Der Dalai Lama warnte bei unseren fast ein Dutzend Gesprächen in seinem Exilsitz im indischen Dharamsala – oder unterwegs in den USA , Frankreich und Hamburg – westliche Möchtegern-Tibeter noch ausdrücklicher vor der blinden Übernahme seiner Religion: »Versuchen Sie im Westen es doch immer erst mit irgendeiner Form des Christentums, das liegt ihrem Kulturkreis näher. Erst als letzte spirituelle Zuflucht würde ich zu den komplizierten Regeln des tibetischen Buddhismus raten.« Seine persönliche Popularität im Westen war ihm – auch wenn er sie manchmal augenzwinkernd zu genießen schien – immer etwas unheimlich, die Anziehungskraft des fernöstlichen Glaubens suspekt. »Wenn Eisenvögel durch die Luft fliegen, wird der Buddhismus Richtung Westen wandern und in die fernsten Länder kommen – es stimmt schon, das hat der weise Mönch Padmasambhava vor 1200 Jahren in Tibet prophezeit, aber ich glaube kaum, dass er dabei so prophetisch war, an Jumbojets und Pilgerreisende aus Hollywood zu denken. Und oft frage ich mich, ob die Anziehungskraft meines Glaubens in Europa und den USA nicht vielleicht auf einem Irrtum beruht – vielleicht weil sich die Menschen eine Instant-Erleuchtung erhoffen oder gar weil sie von besonderen tantrischen Sexpraktiken gehört haben?« Es folgte das typische Dalai-Lama-Lachen, glucksend erst, dann von einem ansteckenden Prusten, das aus ihm herausbricht wie eine Naturgewalt.
Sein aus dem Mongolischen stammender Ehrentitel bedeutet so viel wie »Ozean der Weisheit«, die offizielle tibetische Bezeichnung lautet Yishi Norbu , »Wunscherfüllendes Juwel«. Angeredet wird er wie der Papst, mit »Eure Heiligkeit«. Aber der Mann, der für seine Anhänger die Verkörperung des Avalokiteshvara ist, des »Buddha mit dem grenzenlosen Mitgefühl«, residiert eher bescheiden an seinem Exilsitz im indischen Dharamsala, seinem »Little Lhasa«. Er hasst alles Pompöse. Wischt 2011 die letzten Meinungsumfragen weg, die besagen, er sei in Deutschland als moralische Autorität die Nummer eins, sogar höher angesehen als der damalige deutsche Papst. In Straßburg, wo er vor dem Europaparlament sprechen sollte, hat er sich einmal um eine halbe Stunde verspätet und die Delegierten warten lassen, weil er es wichtiger fand, spontan mit einer Toilettenfrau über deren Monatsgehalt und die Probleme mit ihrem Sohn zu sprechen.
Die meisten, die ihm je begegnet sind, nehmen ihm das Interesse an Mitmenschen ab. Sie lauschen gebannt seinen manchmal doch sehr allgemein gehaltenen Mahnungen zu Toleranz und Gewaltlosigkeit, sehen in ihm so etwas wie einen Anti-Politiker – einen der lebt, was er lehrt. Eine theologisch-therapeutische Allzweckwaffe, häufig luzide in seinen Äußerungen, gelegentlich diffus. Ein belesener Mann, dessen politisches Herz eher links schlägt, der gegen die Gewinnmaximierer und Umweltzerstörer wettert. Wenn es denn nur der Glücksfindung und der Befriedigung von Erwartungshaltungen genügt, ist er bereit, in viele Rollen zu schlüpfen. Ein Diener der Mächtigen wie der Ohnmächtigen, der Glaubensstarken wie der Zweifler, ein weiser Clown zwischen Groucho Marx und Karl Marx, und mit sehr viel Mahatma-Gandhi-Überzeugungen. »Was soll ich denn für Sie sein?«, fragte der Gottkönig mich einmal in Dharamsala, als ich ihn auf seine Rolle in der Weltpolitik angesprochen hatte, und griff nach meiner Hand. »Ich bin, was immer Sie wollen, dass ich bin.«
Der 14. Dalai Lama predigt Gewaltlosigkeit, Mitmenschlichkeit, Güte, er spricht
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