Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
weitgehend geglückt. Die Europäer haben begriffen, dass ihr Wohlfahrtsstaat – wenngleich verschlankt – als Zukunftsmodell taugt und jedenfalls alle anderen Varianten deutlich schlägt. Trends haben sich umgekehrt. Beispielsweise beim öffentlichen Verkehr, wo es wieder mehr Staat und weniger Privatisierung gibt. Solche Dienste weitgehend in die Hände von Unternehmern zu legen, hat sich nicht bewährt.
Auch außenpolitisch hat sich die EU im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zusammengerauft. Nach blamablen Jahren des kleinkarierten Streits, die den Kontinent zum »Sanierungsfall« (so EU -Kommissar Günther Oettinger) gemacht haben, gibt es nun aus Brüssel eine weitgehend einheitliche Stimme für die Weltpolitik. Selbst Großbritannien und Frankreich verzichten auf Sonderwege. Der »europäische Hühnerhaufen« (so der deutsche Ex-Außenminister Joschka Fischer) hat sich 2025 zu einer passabel arbeitenden Hühnerfarm gemausert.
Eines allerdings hat sich in Europa verschlimmert: das demografische Problem und damit die mangelnde Altersversorgung. Die Europäer teilen diese Sorgen mit allen fortgeschrittenen Regionen der Welt (mit der Ausnahme der USA , die durch ein vorbildliches Eingliederungsgesetz für Einwanderer im Jahr 2025 besser dastehen): In Deutschland ist das Durchschnittsalter von 44 Jahren 2013 auf 49 Jahre gestiegen, in Japan von 45 auf 52 Jahre, prozentual sogar noch geschlagen von China (35 auf 43).
Doch trotz dieses »grauen« Flecks wird der »europäische Traum« die Menschen auf allen Kontinenten weiter faszinieren. Es sind nicht nur die Lebensbedingungen auf dem Kontinent, die so positiv wirken, sondern auch die Versuche, mehr Gerechtigkeit und einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Das gilt auch für eine internationale Strafverfolgung, mit der Diktatoren und Militärs zur Verantwortung gezogen werden können – nicht umsonst ist der Internationale Strafgerichtshof in Europa, im niederländischen Den Haag, angesiedelt. Nach langem Zögern haben sich Anfang 2020 die USA diesem Gremium angeschlossen. Im Westen hat sich im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, parallel dazu ist die Ausstrahlung des autoritären chinesichen Modells verblasst. Der Stolz auf die eigenen Stärken, der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Werte ist zurückgekehrt – bei aller Anerkennung dafür, was in China, Indien und Brasilien geleistet wird.
THESE ACHT: And the Winner is … Germany!
Im Jahr 2025 wird längst zur Gewohnheit geworden sein, was dem Deutschen Norbert Scheuch im chinesischen Großkonzern Sany und im Oktober 2013 dem Chinesen Zhengrong Lu als neuer Vorstand beim Hamburger Dax-Unternehmen Beiersdorf gelungen ist – ein Aufstieg in die höchste Führungsebene einer bedeutenden Firma auf der anderen Seite der Welt. Vor allem die Autobauer haben ihre Zusammenarbeit verstärkt, Daimler wurde zum Großaktionär in der Volksrepublik, Volkswagen hat seine Marktführerschaft bis dahin weiter ausgebaut und ist weltweit an Toyota und GM vorbeigezogen: die Nummer eins, vor allem dank des China-Geschäfts. Berlin und Peking verstehen sich bestens. Die Boom-Zeiten des »Traumpaars« (so Premier Li Keqiang bei seinem Besuch in Berlin Ende Mai 2013) haben allerdings auch einen Preis: Deutschland wird immer abhängiger von seinen China-Geschäften, kommt politisch unter Druck – als der chinesische Ministerpräsident Ende Mai ultimativ von der Bundesregierung fordert, sich gegen die von der EU geplanten Strafzölle gegen Solarzellen aus der Volksrepublik zu stellen, knickt Kanzlerin Merkel sofort ein. Sie will einen von Peking angedrohten »Handelskrieg« auf jeden Fall vermeiden. Auch wenn viel dafür spricht, dass die Chinesen wirklich mit Dumpingpreisen arbeiten, die deutsche Produktion bankrottgeht und die USA ähnliche Strafzahlungen längst durchgesetzt haben. Deutsche Konzerne und vor allem der Mittelstand haben erkannt, dass sie sich bei aller Euphorie über den China-Markt nicht zu einseitig in Abhängigkeiten begeben dürfen. Und deshalb haben sie ihre Scheu vor Indien und Brasilien abgelegt und sind in diesen Zukunftsmärkten spät, aber nicht zu spät zur Aufholjagd angetreten.
Bei der Neuordnung des Weltsicherheitsrats Anfang 2020, der den Aufstieg Indiens und Brasiliens in den illustren Kreis der permanenten Mitglieder besiegelt hat, ist Deutschland allerdings leer ausgegangen. Westeuropa, so befand der Rest der Welt, sei mit Großbritannien
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