Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
aber erheblich langsamer, mühseliger und anfälliger für Rückschläge.
Die großen Schwellenländer haben die Weltökonomie auf bemerkenswerte Weise verändert: Die Preise für die meisten Ressourcen stiegen, Herstellungskosten fielen. Davon profitierten Konsumenten weltweit, aber auch in den Ausgangsländern. Die absolute Zahl der Ärmsten sank. In den BRICS -Staaten bildete sich eine neue, zunehmend selbstbewusste, zu Demonstrationen für ihre Rechte entschlossene Mittelschicht. Sie fordert, dass die Verantwortlichen ihre Verantwortung wirklich wahrnehmen, sie will Transparenz und Rechenschaft. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.
Das ist für die Regierenden Herausforderung und Chance zugleich. Die Entschleunigung der Wachstumsraten in China, Indien und Brasilien könnte für die Führung ein Ansporn sein, politische Veränderungen zu wagen. Leider ist von einem neuen Aufbruch derzeit noch wenig zu sehen. Dabei gibt es kaum Grund zu Kleinmut. Die wirtschaftliche Basis in Peking, Neu-Delhi und Brasília dürfte inzwischen so widerstandsfähig sein, dass kein Platzen einer großen »Blase« mehr droht.
Im Jahr 2025 wird man vermutlich einmal sagen, dass 2013 eine Wasserscheide, ein Wendepunkt war – auch in den Vorstellungen einer »idealen« Wirtschaftspolitik. In den Neunzigerjahren hatten viele Experten in den westlichen Hauptstädten und auch beim Internationalen Währungsfonds das neoliberale Modell vom absolut freien Spiel der Kräfte in einer Demokratie nach US -Vorbild für das Nonplusultra gehalten und versucht, es der Dritten Welt aufzuzwingen. Der Staat sollte sich möglichst aus allem heraushalten. Deregulierung hieß das Zauberwort, das einsetzende Wirtschaftswachstum käme dann allen zugute. Diese hegemonialen Vorstellungen von einem Marktfundamentalismus sind in der Finanz- und Bankenkrise nach 2007 krachend gescheitert. Bis heute haben sich die USA und die EU noch nicht ganz von dem Irrglauben erholt. Die einzig gute Nachricht: Dieses Konzept – »Washington Consensus« genannt – wird schon lange nicht mehr in euphorischen Kommentaren gepriesen.
Für viele Experten ersetzte in den Jahren danach eine andere wirtschaftliche Heilmethode die Diktatur des Kapitals: der »Beijing Consensus«. Ein autoritärer Staatskapitalismus à la Volksrepublik China galt nun in den Jahren bis 2013 als Idealkonzept. Arbeiterrechte und demokratische Mitbestimmung traten dabei in den Hintergrund. Umweltschutz durfte nach dieser Theorie vernachlässigt werden, Wachstum um jeden Preis sollte es richten. Durch eine ausschließliche Konzentration auf Exporte würde der Lebensstandard in den Schwellenländern sozusagen automatisch steigen, verkündeten die China-Apologeten. Viele Staaten in Afrika und Asien fanden diesen »Beijing-Consensus« attraktiv und versuchten ihn anzuwenden. Mit wechselndem Erfolg. Den Verfechtern der Idee im Reich der Mitte ist allerdings längst klar geworden, dass auch dieses ökonomische Rezept nicht funktioniert. Sie haben jedenfalls mit Korrekturen begonnen. Messen der Umwelt zumindest verbal eine große Bedeutung bei. Propagieren nun einen Strukturwandel, der neben dem Export den heimischen Konsum ins Zentrum der Überlegung stellt.
Das ideale Entwicklungsmodell haben weder China noch Indien noch Brasilien gefunden. Was sich in modernen westlichen Gesellschaften bewährt und diese in den kommenden Jahrzehnten wieder nach vorne bringen mag, lässt sich nicht unbedingt auf andere Regionen mit anderen Entwicklungsstufen übertragen – jedenfalls nicht eins zu eins. Peking, Neu-Delhi und Brasília müssen einen eigenen Weg finden. Es wird wohl ein Weg sein, der demokratische Rechte einräumt, überprüfbare Institutionen stärkt, die Regierenden verpflichtet, Standards einzuhalten. Der Mensch im Mittelpunkt, nicht die Ideologie, nicht ein abstraktes System, das einen »Consensus« verlangt. Die drei führenden BRIC s werden bröckeln, aber auch wieder einen Kitt finden. Sie werden nicht fallen, sondern ihren Aufstieg gebremst fortsetzen. Und mit dem »Weltmacht«-Status kommt auf die neuen Global Player auch größere Verantwortung zu. Sie können das Wohl und Wehe der Weltgemeinschaft wesentlich mitbestimmen.
LITERATUR
Daron Acemo ğ lu /James A. Robinson: Warum Nationen scheitern, Frankfurt am Main 2012.
Stefan Aust /Adrian Geiges: Mit Konfuzius zur Weltmacht , Berlin 2012.
Jahangir Aziz /Steven Dunaway /Esward Prasad: China and India . International Monetary Fund Publication
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