Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
sich teure Privatlehrer.
Die Partei will verhindern, dass an den Rändern von Metropolen wie Schanghai permanente Slums wachsen wie in Mumbai oder Rio. Und deshalb drängt sie die Zugereisten, nach getaner Arbeit wieder die Stadt zu verlassen. Yan und ihre Familie wollen so lange wie möglich bleiben – trotz der unsäglichen Arbeitsbedingungen und all der anderen Schikanen. Sie glauben an eine bessere Zukunft. Yans Schwiegervater schaffte sich kürzlich bereits seinen zweiten gebrauchten Kleinlaster an, er ist vor 15 Jahren in die Metropole gekommen. Inzwischen transportiert er Stahlträger und Bambuslatten, ein Kleinunternehmer auf dem Weg nach oben. »Was wir wollen, ist Stabilität – und eine faire Aufstiegschance«, sagt Yan Yan.
Wenn es irgendwo einen Goldrausch gibt, musst du dabei sein: So etwa könnte das Lebensmotto von William Zheng lauten. Dass der Mittdreißiger es so perfekt umsetzen konnte, verdankt er seinen Eltern. Beide waren KP -Kader, der Vater Chirurg am Schanghaier Zhongshan-Krankenhaus, die Mutter Universitätsprofessorin. Als sie gemerkt hatten, welche furchtbaren Verwundungen die Partei in China anrichtete, flohen sie mithilfe eines Freundes mit ihrem damals dreijährigen Sohn in die USA , zu neuen Freiheiten. William Zheng machte nach der Schule ein Universitätsexamen in Internationalem Recht und arbeitete lange Zeit als erfolgreicher Anwalt in den USA . Doch als ihm Freunde von den rasanten Fortschritten und den ökonomischen Möglichkeiten in der alten Heimat erzählten, beschloss er 2003 seine Rückkehr in die Geburtsstadt. Bereut hat er diesen Entschluss keine Sekunde, genauso wenig wie die meisten der anderen zahlreichen Schanghai-Heimkehrer. Sie kamen nicht aus sentimentalen Gründen, sondern weil ein ehrgeiziger und gut ausgebildeter Chinese inzwischen mehr Geld in der Volksrepublik machen kann als im Westen.
Zhengs Geschäfte laufen prächtig, wenngleich sich die Prioritäten verändert haben. Während der smarte Aufsteiger früher hauptsächlich amerikanischen Kunden half, den chinesischen Markt zu erschließen, führt er heute Firmen aus Schanghai in die Geheimnisse der westlichen Wirtschaft ein. Immer mehr erfolgreiche chinesische Unternehmen wollen ausländische Firmen kaufen oder in den USA und Europa mit eigenen Fabriken expandieren. New York war gestern: Schanghai lockt inzwischen chinesische Talente gezielt vom Hudson River an den Huangpu. Hier sollen sie an dem nationalen Kraftakt mitwirken, aus der Metropole einen globalen Finanzplatz zu machen. »Ich lebe wahnsinnig gerne in Schanghai. Hier wird die Zukunft gestaltet, hier spielt die Musik«, sagt Herr Zheng.
Das findet auch Michelle Ye, die junge Dame mit der Mannequinfigur und dem Dauerlächeln einer Schönheitskönigin, die gerade dabei ist, alle Konkurrentinnen aus dem Feld zu schlagen. Sie weiß, sie muss für ihren Job gut aussehen, überzeugend argumentieren. Die Mittzwanzigerin verkauft Träume, und die Preisliste hat es in sich. Das beliebte Modell »Sea Stella« beispielsweise kann sie wärmstens empfehlen, es kostet schlappe eineinhalb Millionen Euro.
Michelle Ye ist Chefin der Yihong-Yacht-Gesellschaft, ihr Business sind Luxusschiffe. Anders als die italienische Konkurrenz hat die Absolventin der amerikanischen Cornell University auf chinesischen Geschmack zugeschnittene Boote im Programm, mit Karaoke-Anlage und eingebautem Mahjong-Spieltisch. Vier solche Yachten hat sie gerade verkauft, vier weitere wurden bei ihr bestellt. Die meisten Kunden sind Firmen aus Schanghai, aber Privatleute holen stark auf. Und deshalb bietet die Jungunternehmerin, unterstützt von ihrem sehr wohlhabenden und politisch bestens vernetzten Vater aus der Küstenstadt Xiamen, ihren Klienten ganze »Wohlfühlpakete«, bei denen sie sich um nichts mehr kümmern müssen. Da ist dann ein Anlegeplatz in der Schanghai-Marina mit drin, wo sich die Reichen und die Schönen prestigeträchtig tummeln und wo es sich bestens feiern lässt.
»Freizeit-Business ist hier das Business der Zukunft«, schwärmt Ye, zu deren bevorzugten Hobbys das Golfspielen zählt. Der Blick von ihrer provisorischen Firmenzentrale am Fluss geht schräg hinüber aufs Expo-Gelände. Dazwischen liegt an der Waima-Straße noch ein altes Haus, einsam in der Schuttlandschaft eines abgerissenen Armenviertels. Irgendjemand muss vergessen haben, es bei der genau geplanten Verschönerung der Stadt plattzumachen. Nun aber rücken die Bulldozer heran, das Versehen
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