Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Fernsehstar, Talkshow-Moderatorin, eine Art Oprah Winfrey der Volksrepublik. Sie betreibt in einem Luxushotel einen Juwelierladen und bewohnt dort eine Dauersuite. Das Fünfsternehotel Hilton ist ihr Heimspiel, dort empfängt sie uns. Eine lächelnde Schönheit Anfang vierzig, modischer Kurzhaarschnitt, glamouröses Designer-Outfit. »Die Expo ist ein Schaufenster, durch das die Welt China sieht und China die Welt. Wir sollten aber politisch viel mutiger sein, die Regierungsentscheidungen transparenter gestalten, die Medien Missstände aufdecken lassen. Früher oder später wird das die neue Mittelklasse erzwingen, wenn es nicht freiwillig geschieht«, sagt sie.
Diese Frau ist auch für die kosmopolitische Metropole eine Ausnahmeerscheinung. Yang Lan hat in Peking und an der New Yorker Columbia University studiert und mit ihrem Mann, einem Unternehmer aus Hongkong, im Jahr 2000 das erfolgreiche Medienunternehmen Sun Television Cybernetworks gegründet. Auch politisch bestens vernetzt, ist sie Abgeordnete der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, eines zwar wenig mächtigen, aber sehr prestigereichen Scheinparlaments. Ihre Wohltätigkeitsveranstaltungen sind schon vor der Expo das Stadtgespräch, die Einladungen hochbegehrt. Die Dame, damals Nummer 207 unter den reichsten Chinesen und Moderatorin der Abschlussfeier bei den Olympischen Spielen von Peking, kann sich ein gewisses Maß an Freiheiten nehmen. Aber sie vergisst nie, im entscheidenden Moment einzustreuen, wie großartig sich das Land »im Prinzip« entwickle. Dass doch der Aufbau eines Sozialstaats mit Krankenversicherung und Altersvorsorge »auf dem Wege sei«. Immer noch aber sieht sie Frauen in Schanghai benachteiligt: »Mao sprach davon, den Frauen gehörte die Hälfte des Himmels. Von der Erde sprach er wohl absichtlich nicht.« Am Schluss unseres Gesprächs kann sich die KP -Milliardärin einen weiteren Seitenhieb auf die Regierenden nicht verkneifen: »Es wäre schön, wenn meine Talkshow nicht mehr zensiert würde. Und wenn ich nach Henry Kissinger, Gerhard Schröder und Bill Clinton endlich auch mal einen hochrangigen chinesischen Politiker interviewen könnte.«
Da hat Yan Yan ganz andere Sorgen. Stotternd springt ihr Moped an, mit dem sie sich durch ihren 18-Stunden-Arbeitstag manövriert. Die Wanderarbeiterin aus Jiangsu, einer Nachbarprovinz von Schanghai, bricht zur Nachtschicht auf. Sie muss in einer Fabrik Plastikgehäuse für Digitalkameras mit Farbe besprühen – ein gefährlicher Job. »Das Material ist ätzend«, sagt Yan, »ich bekomme Kopfschmerzen davon.« Sicherheit am Arbeitsplatz zählt in Schanghai ebenso wenig wie in den Kohlegruben, in denen jährlich tausend Menschen unter skandalösen Umständen ums Leben kommen. Alles in allem aber ist sie froh über ihren Job. Erst kürzlich lebte sie ein halbes Jahr ohne eigenes Einkommen, sie musste ihr Baby stillen. Doch jetzt gibt Yans Schwiegermutter der Kleinen die Flasche und Yan kann den Löwenanteil ihres Verdiensts, etwa 150 Euro im Monat, an die Sippe in der Provinz schicken. Die junge Frau hat sich einen dicken Anorak angezogen. Hier draußen nahe dem Flughafen Pudong weht der kalte Wind direkt vom Meer herüber. Die Fabrik ist nicht geheizt, ebenso wenig wie ihre nahegelegene Wohnung. Die düstere Bleibe besteht aus einem Zimmer für Yan und ihren Mann, der auf dem Bau schuftet. Von der Decke baumelt eine Neonleuchte, ansonsten besteht die Einrichtung aus einem Bett, einem Reiskocher und einem Fernseher.
Yan fährt vorbei an den niedrigen Betonhäusern der Wanderarbeiter, den eigentlichen Machern des chinesischen Wirtschaftswunders, der Job-Verfügungsmasse – allein in Schanghai sind es wohl an die fünf Millionen. Es ist eine eigene dörfliche Welt mit billigen Garküchen, Kramläden und Friseursalons. Zwischen den Häusern liegen ölig schimmernde Teiche, in denen einst Fische gezüchtet wurden. Jetzt sammelt sich dort Plastikmüll, und trotzdem gehen einige Halbwüchsige noch fischen. Vom Zentrum her rücken die Hochhäuser immer näher an die Hütten von Yan und ihren Nachbarn heran – bald sollen auch sie abgerissen werden. Ans Umziehen hat sich Yangs Familie gewöhnt. Sie besitzt keinen Hukou , wie die Chinesen das dauerhafte Wohnrechte nennen. Ihre in Schanghai geborene Tochter musste Yan in ihrer Heimatprovinz registrieren lassen, damit sie später die Schule besuchen darf. Das Mädchen wird dorthin zurückkehren müssen, oder die Yans leisten
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