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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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2010. Präzise der Stechschritt, schnittig die beigegrünen Tarnuniformen, die Fäuste entschlossen gen Himmel gereckt. Ein Kampfschrei aus vielen hundert Kehlen: »Wir sind angetreten, unsere Mission zu erfüllen! Wir sind entschlossen, den Kampf zu gewinnen!« Die Männer, die zu einer Spezialeinheit der Staatssicherheit gehörten, leisteten ihren Schwur vor abschussbereiten Maschinengewehren, die auf mobilen Rampen befestigt waren. Nein, es war kein Krieg. Es ging wirklich nur um die Expo, die Welt-Wirtschafts-Show. Die zum Drill angetretene Truppe sollte nur üben, wie man Besucher beschützt. Aber wenn es sich um eine Großveranstaltung handelt, dann ist nationales Prestige im Spiel, dann müssen Rekorde gebrochen, Konkurrenten in den Schatten gestellt werden, dann kann es der Volksrepublik nicht martialisch genug sein. Und insofern war doch Krieg in diesem Frühjahr. Ökonomie ist in der Volksrepublik immer auch eine andere Form der kriegerischen Auseinandersetzung.
    Am 1. Mai wurde die Expo mit einem spektakulären Feuerwerk eröffnet, sechs Monate lang lockte sie in- und ausländische Gäste auf das 5,3 Quadratkilometer große Ausstellungsgelände links und rechts des Huangpu. 248 Nationen und internationale Organisationen waren beteiligt, mit einem geschätzten Gesamtetat von drei Milliarden Dollar war die Expo die teuerste aller Zeiten, teurer selbst als die Olympischen Spiele von Peking. Und mit insgesamt 73 Millionen Besuchern wurde sie dann auch zur erfolgreichsten, das ehrgeizige Planziel übertroffen. Über hundert Pavillons variierten das vorgegebene Thema »Bessere Stadt, besseres Leben«. Es war eine prächtige, aufwendige Show. Mancher fühlte sich da an frühere Zeiten erinnert – etwa an die Ära der Ming- und Qing-Dynastien vom 14. bis Anfang des 19. Jahrhunderts, in der die Kaiser fremde Mächte gerne als tributpflichtig erachteten und Geschenke für die Gunst einforderten, mit China Handel zu treiben. Die Expo sollte zeigen: Jetzt war das Land dabei, sich diese Rolle zurückzuerobern und dies sehr selbstbewusst zu demonstrieren. Die neue Hybris begannen auch europäische Diplomaten zu spüren. Wenn die EU nicht bald ihr Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik aufhebe, werde sie das bereuen, hieß es. Politiker formulierten am Rande der Veranstaltung in Schanghai eine ebenso verblüffende wie deutliche Drohung: »Europa wird später dann auch nicht in der Lage sein, Waffen in China kaufen zu dürfen.«
    Und doch schien es ein merkwürdig anachronistisches Konzept, mit einer Weltausstellung die Welt beeindrucken zu wollen; die Expos von Hannover im Jahr 2000 und im japanischen Aichi 2005 waren ja längst vergessen. Auch wenn Schanghai eine Supershow ganz anderen Ausmaßes präsentierte, blieben die grundsätzlichen Fragen: Ob sich die Chinesen mit ihrer Gigantomanie eher als Großmacht in die Weltgemeinschaft integrieren oder sich im Gegenteil von ihr abheben und eigene Spielregeln aufstellen wollten. Ob es sich bei ihrem rüden Verhalten gegenüber den USA eher um Arroganz oder Unsicherheit handelte. Praktizierten sie das klassische shangwo chouti – den Gegner aufs Dach holen und ihm dann die Leiter entziehen? Oder hatten sie in Wahrheit gar keine schlüssigen Antworten auf ihre Herausforderungen, auf das Gefälle zwischen Arm und Reich, die Korruption, die zunehmende Unzufriedenheit der Mittelschichten, den fehlenden nationalen Zusammenhalt?
    Bezeichnend war jedenfalls, dass sie wieder einmal Schanghai als Laboratorium nutzen, die Stadt ihrer kühnen Ideen, ihrer Experimente. Ihr Laboratorium der Avantgarde, das die besten und die katastrophalsten Epochen der ganzen Nation symbolisierte, und manchmal beides gleichzeitig. Die Stadt stand endgültig wieder in der Sonne der Partei. Und erneut war es wieder dieser besondere Typus, der Fortschritt definierte, der China den Weg wies: der Schanghai-Mensch.
    Gemeinsam mit meinem Kollegen und ortsansässigen Korrespondenten Wieland Wagner bin ich in den Expo-Tagen durch die Stadt gezogen, um die interessanten Exemplare dieser Spezies aufzuspüren und ihre Lebensträume zu schildern. Die Prominenten, die Profiteure, die Unterprivilegierten.
    Wer in China etwas gilt, wird zwangsverpflichtet, um die Weltausstellung noch strahlender zu machen. Zu diesen offiziellen »Expo-Botschaftern« zählen der Pianist Lang Lang ebenso wie der Turnolympiasieger Li Ning. Und die vielleicht bekannteste Schanghaierin: Yang Lan, milliardenschwere Medienunternehmerin,

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