Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
gepflegte Rasenflächen, moderne Architektur aus Chrom und Glas, grau-schwarz mit einigen Akzenten in Rot. Staatspräsident Hu Jintao hatte das CELAP -Institut im März 2005 höchstpersönlich eingeweiht und dabei die für ihn, den bekannten Reformbremser, doch recht überraschende Maxime ausgegeben, alle Lehrpläne weitgehend freizugeben. Es begann ein Spagat zwischen revolutionär neuem Management und überkommenen Ideologie-Inhalten. Das Durchschnittsalter der 128 CELAP -Lehrkräfte lag um die 35, nicht viel mehr als ein Jahrzehnt unter dem der Elitestudenten. Kurse über »Mao-Zedong-Gedanken« wechselten sich ab mit Vorträgen über die neuesten Trends der Harvard Business School und die Handelsvorstellungen der EU . Ein Drittel des Lehrplans war Feldstudien vorbehalten, sie sollten die Studenten zu Firmen wie General Motors und Siemens in Schanghai führen. »Wir wollen ihnen auch zeigen, wie Multis arbeiten«, wurde der CELAP -Vizechef Xi Jieren zitiert. »Die Zentralregierung möchte, dass wir uns nicht in Routine erschöpfen, wir sollen kreativ sein. Deshalb setzen wir hauptsächlich auf junge Lehrkräfte und nicht auf ältere Berühmtheiten, deren festgelegte Gedankenwelt sich kaum mehr verändern lässt.«
Die Bibliothek der Kaderschmiede zeigte eine merkwürdige Bandbreite: Fachbücher neoliberaler amerikanischer Wirtschaftsgurus wie Jack Welsh, aber auch J. R. R.Tolkiens fantastische Werke und eine wissenschaftliche Abhandlung über den Untergang der Titanic . Die Studenten, so hieß es, müssten Kurse in Politikwissenschaft wie in Ökonomie belegen, könnten sich dann aber bei ihrer Abschlussarbeit auf einen der beiden Schwerpunkte konzentrieren. »Führungsqualitäten sind für alle Spitzenplätze der Gesellschaft wichtig«, hieß es in der Broschüre der Führungsakademie. Allerdings müssten die Absolventen »selbstlose Beiträge zur sozialen Stabilisierung des Landes leisten«.
Genau damit haperte es. Jahrzehntelang hatte die Metropole am Huangpu politische Führungskräfte hervorgebracht, die dann auch die Geschicke der Volksrepublik bestimmten. Innerhalb der KP sprach man sogar ehrfürchtig von der »Schanghai Clique«. Jenem schier unerschöpflichen Pool von ZK -Kräften, die sich in der Vorzeigestadt ihre politischen Sporen verdient hatten, bevor sie in die höchsten Ränge aufstiegen. KP -Generalsekretär und Staatspräsident Jiang Zemin (1993 ‒2003) diente ebenso als Bürgermeister der Stadt wie Premier Zhu Rongji. Andere Spitzenpolitiker wie Zeng Qinghong oder Wu Bangguo waren Top-Parteisekretäre. Wer es in der Stadt zu einem Spitzenrang gebracht hatte, schien unaufhaltsam auf dem Weg nach oben. Und natürlich unantastbar.
Das änderte sich allerdings im Jahr 2006 mit einer sensationellen Geschichte. Eines Morgens wachten die Schanghaier auf und glaubten ihren Augen nicht zu trauen – die Zeitungen verkündeten die Verhaftung des wichtigsten Politikers der Stadt. Chen Liangyu, KP -Chef von Schanghai und Mitglied des Politbüros, wurde wegen Korruption angeklagt, und mit ihm noch eine Reihe anderer bedeutender Lokalgrößen. Chen Liangyu, so lautete der ungeheuerliche Vorwurf, habe Hunderte Millionen Dollar öffentlicher Sozialversicherungsgelder umgeleitet und in Grundstückskäufen angelegt. Der Spitzenpolitiker wurde dann zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass er sein Amt zur persönlichen Bereicherung missbraucht hatte. Ebenso verurteilt und aus der Partei ausgeschlossen wurden der Direktor der städtischen Finanzüberwachungsbehörde, der Leiter des Planungsstabs für die Formel- 1 -Strecke sowie der Vizechef der Baubehörde.
Nun redete keiner mehr über die Unangreifbarkeit der Schanghai-Clique. Aber gleichzeitig war natürlich auch klar, wie wichtig es für die Partei war, hier im »Kopf des Drachen« einen Mann ihres absoluten Vertrauens zu haben. So beobachteten nicht nur die Schanghaier Bürger mit größter Spannung, wer denn das wichtigste Parteiamt der Stadt übernehmen würde. Die Wahl der Spitzengremien fiel auf Xi Jinping, er trat seinen Posten im März 2007 an. Der Pragmatiker war bemüht, auch nicht den geringsten Anlass für Korruptionsvorwürfe zu geben, zeigte sich als integer, linientreu und bescheiden. Aber da er vor allem darauf achtete, keinen Fehler zu machen, blieben Reformen in der Stadt während seiner Amtszeit völlig aus.
Und dann war sie endlich da, die von vielen in Schanghai so heiß erwartete Weltausstellung
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