Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
neuen Stadt wirklich alle Platz haben, die es verdienen, oder müssen wieder einmal diejenigen weichen, die ohnehin am härtesten kämpfen müssen? Und bleibt dann, wenn Rio eines Tages »gesäubert« sein sollte von all seinen Lastern, noch viel übrig vom besonderen Flair?
»Ich will nicht, dass unsere Stadt wie Lausanne oder Zürich wird.« Auch das hat Bürgermeister Eduardo Paes einmal zu Protokoll gegeben. Von dieser Gefahr ist in der überschäumenden, chaotischen, durchtanzten Jazznacht beim Favela-Kneipier wenig zu spüren. Ganz so weit ist es noch nicht gekommen mit den Samba-Preußen, die neuerdings schon mal zu Samba-Rebellen werden.
TEIL II Machtzentren
4 CHINA
Geheimbund hinter hohen Mauern
Amerika hat das Weiße Haus, Russland den Kreml, Frankreich den Elysée-Palast, Deutschland das Bundeskanzleramt. Die Volksrepublik China hat ein Geheimnis. Die fernöstliche Supermacht wird von einem mysteriösen Ort aus regiert, den nur wenige Ausländer je detailliert von innen gesehen haben, und von den Einheimischen nur die oberste Führungsschicht. Rote hohe Mauern schirmen die Staatslenker ab, an schwer bewachten Eingängen mit poetischen Namen (»Tor des magischen Lichts«) kontrollieren bewaffnete Sicherheitskräfte, versteckte Kameras überwachen jeden Schritt in Richtung des Allerheiligsten. Zhongnanhei (»Mittlerer und Südlicher See«) heißt der fast einen Quadratkilometer große Komplex, im Zentrum Pekings nahe dem Tiananmen, dem »Platz des Himmlischen Friedens«, gelegen. Das Hauptquartier der Kommunistischen Partei wie auch der Regierungssitz befinden sich auf diesem Gelände. Wenn China ein Herz hat, dann schlägt es hier. Auf jeden Fall aber arbeitet hier sein Gehirn. Und während draußen an der nahen Chang’an Jie der Verkehr tobt, soll es nach Berichten von Eingeweihten im Innern des verschwiegenen Zhongnanhei geradezu gespenstisch ruhig sein; ruhig, wie im Auge des Taifuns – und genauso gefährlich, wie es sich gerade wieder vor einigen Monaten gezeigt hat, beim dramatischen Kampf um die Macht im 1,35 Milliarden Menschen zählenden Riesenreich.
Einst gehörte das Gelände zur Verbotenen Stadt, wo früher Kaiser, Konkubinen und Eunuchen ihre höfischen Intrigen spannen. Manche Gebäude stammen noch aus feudalen Zeiten, graue Zweckbauten kamen nach dem Sieg der Kommunisten und dem Ausrufen der Volksrepublik 1949 dazu. Der Revolutionär Mao Zedong war sich sehr wohl der Symbolik des Ortes bewusst, zögerte monatelang, bevor er es sich in den Traditionspalästen heimisch machte. 56 Jahre alt war er damals in der Stunde seines Triumphs, ein abgehärteter, kaum vom Luxus verwöhnter Bauernsohn, Guerilla, Soldat. In den Kammern der Kaiser zu schlafen, hieß, sich den Mantel der absoluten Macht überzustreifen, die Salbung der Götter zu beanspruchen, das Mandat des Himmels. Reizvoll, aber auch gefährlich. Als sich Mao dann zum Einzug entschlossen und die Traditionsgemäuer mit Ostblockmöbeln ummodelliert hatte, da regierte er auch mit der Grausamkeit der alten Herrscher. Vernichtete alle Großgrundbesitzer, zwang 1956 die Bauern in einem wahnwitzigen Experiment in Volkskommunen und ließ sie dort im »Großen Sprung nach vorn« Stahl schmelzen – dreißig Millionen starben an Hunger. Und als er das revolutionäre Feuer der KP erkalten und seine Macht bröckeln sah, hetzte er von seinen Räumen in Zhongnanhai aus in der Kulturrevolution Linke gegen Gemäßigte, Jung gegen Alt aufeinander. Wieder wurden Millionen geopfert. Verzweifelt über die Exzesse nahm sich 1967 Tian Jiaying, Maos aufrechter persönlicher Sekretär, auf dem Zhongnanhai-Gelände das Leben.
Auch Deng Xiaoping, Maos lange verspotteter und verfemter De-facto-Nachfolger, traf im chinesischen Kreml seine wichtigsten Entscheidungen. Egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse, lautete sein nüchterner Leitspruch, mit dem er den mörderischen Menschen-Experimenten ein Ende bereitete und wieder privatwirtschaftliche Anreize erlaubte. Aber der Pragmatiker mochte die Macht der Partei nicht eingeschränkt wissen, war alles andere als ein Demokrat. Ausgerechnet im »Palast des tiefen Mitleids« auf dem Regierungsgelände traf er Anfang Juni 1989 die Entscheidung, die studentische Protestbewegung blutig niederzuschlagen.
Bis heute hat sich die Partei nicht getraut, eine offene Diskussion darüber zu führen oder gar eine Neubewertung der damaligen Ereignisse vorzunehmen. Bürgerrechtler, die das
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