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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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dieser Nacht ausgebucht, bis zwei Uhr morgens strömen die Gäste in die ungewöhnliche Kneipe. Gerade als die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht, bricht die Elektrizität zusammen. »Verdammt, jetzt haben meine Nachbarn ihre neue Klimaanlage und die Lichter gleichzeitig versucht anzumachen«, flucht Nadkarni.
    Er ist, wenn man so will, ein bisschen Opfer seines eigenen Erfolgs und seines Geschäftsmodells geworden. Seine fairen Gehälter haben zu höheren Ansprüchen und einer Verbesserung des Lebensstandards in der Favela geführt – die überforderte Infrastruktur kann da nicht immer mithalten. Meist dauert der Blackout nur einige Minuten. Doch diesmal springt die Elektrizität nicht wieder an. Was soll’s. Bei Kerzenschein wird weitergetanzt, schweißnass und sexy. Bis zum Morgengrauen. Und dann geht der Wahnsinnsblick wieder vom Berg hinunter auf die Stadt, die Hügel, das Meer. Auf diesen Geniestreich der Natur. Oder Geniestreich Gottes, wenn man denn gläubig ist und Ihm Beifall klatschen will.
    Und warum ist dieses Rio de Janeiro so verführerisch, so unwiderstehlich, so anbetungswürdig? Ganz einfach, sagen die kulturkundigen Cariocas: Weil Rio nicht Stadt ist, sondern Städtin. »Eine ungeheuerlich weibliche Frau, keine Frau ist so weiblich wie sie«, hat der Dichter Álvaro Moreyra 1923 Rio in seinem gleichnamigen Buch genannt, eine Hymne geschrieben auf die Cidade Mulher . 1936 entstand daraus der von Humberto Mauro gedrehte Film mit einem berühmten Lied von Noel Rosa: »Stadt der Liebe und des Glücks /Süßer als die süßeste Hoffnung /Schöner als das schönste Lächeln /Herrlicher als das Paradies und besser als jede Verlockung /Stadt, der niemand widerstehen kann /Köstlich sogar in ihrer Trauer, in einer sanften Samba«.
    Letzte Meldung, keine Literatur, sondern harter Fakt: »Rio de Janeiro gibt sich einen Ruck und räumt die Zimmer der Sex-Hotels zur Fußball- WM !« Das heißt nicht, dass alle Bordells geschlossen, alle Prostituierte »umerzogen« werden, wie in Schanghai nach der kommunistischen Revolution. Im Gegenteil, Englisch-Sprachkurse für die Prostituierten erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit (auch bei den von Uni-Kursen abgezogenen Lehrern, wie es heißt). Es geht nur um die 6500 Zimmer, in denen sich unverheiratete Paare zum Schäferstündchen zwischendurch verabreden. 3500 dieser Räume sollen nun nach dem Willen der Stadtväter in »normale« Gästezimmer umgewandelt werden. Man hat festgestellt, dass trotz einiger Hotelneubauten die Bettenanzahl für den vermuteten Besucheransturm zu den sportlichen Großereignissen nicht ausreichen dürfte. Laut Rio Negócios, dem offiziellen Investment Promotion Board der Stadt, werden mehr als hundert Millionen US -Dollar an Zuschüssen für die Umrüstung bereitstehen. Im Shalimar von Leblon, berichtet die Agentur stolz, seien die roten Teppiche, die Spiegel an der Decke, die Ketten an der Wand und die Betten im Herzform schon dem »neuen, minimalistischen Look« gewichen. Auch die Venus-Skulptur im Eingangsbereich wurde diskret entsorgt. »Ich bin sehr froh darüber«, sagte Sportminister Aldo Rebelo. »Denn in der Vergangenheit, etwa beim Papstbesuch, konnte das sehr peinlich werden. Wir mussten ausländische Würdenträger kurzfristig in Motels unterbringen und die stießen dann auf die Damen und deren Kunden.«
    Rios Ängste, Rios Sorgen, Rios Innovationen – ungewöhnlich sind sie, wie die Gegensätze, die diese Metropole kennzeichnen. Wird das Experiment gelingen, die Stadt mit der Politik des »Ordnungsschocks« umzuwandeln? Muss man sich das in allen Facetten wünschen, muss man den Kleinhändlern ihre Jobs am Strand verbieten, besteht ein Zwang, die privaten Parkwächter, die Windschutzscheiben-Wäscher an den Straßenkreuzungen zu verfolgen? Werden auch die weit wichtigeren sozialen Probleme effektiv angegangen?
    »Freiheit ist schön und gut. Aber sie muss auch Grenzen haben, der Bürgersinn darf darüber nicht vergessen werden«, hat Eduardo Paes einmal gesagt. Sich selbst daran gehalten er sich nicht immer. Sich sogar gerühmt, in seiner Amtszeit keinen Centavo in den öffentlichen Nahverkehr gesteckt zu haben. Und bleibt so eine ambivalente Figur. Noch immer gilt in Brasilien vielen der Malandro als Volksheld, der Schlendrian, der sich der Leichtigkeit des Lebens, den Frauen, dem Humor verschrieben hat – alles Eigenschaften, die ziemlich weit entfernt sind von der eingeforderten Disziplin. Und werden in der schönen

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