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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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übernahm Indira Gandhi die Führung der Kongress-Partei und kam somit fast automatisch an die Macht. Beginn der Nehru-Gandhi-Dynastie.
    Ich habe Indira Gandhi bei meinen Indien-Reisen ein halbes Dutzend Mal getroffen, habe sie im Amtssitz und in ihrer privaten Residenz interviewt und erlebte sie bei mehreren Wahlkämpfen. Selten habe ich eine Persönlichkeit erlebt, die so eindrucksvoll wie zwiespältig war, so charismatisch wie geheimnisvoll. Eine stählerne Lady, die wie auf Knopfdruck ein Lächeln anknipsen konnte, immer misstrauisch, selbst im Kreise von engen Freunden und Familienmitgliedern selten entspannt. So, als wittere sie überall Gegner, die ihr Übles wollten. Nur einmal plauderte sie über ein persönliches Erlebnis, und auch dabei zeigte sich, wie die große Politik schon frühzeitig ihr Leben bestimmt hat. Sie blickte auf das Jahr 1931 zurück, erinnerte sich daran, wie ein Besucher die Familienresidenz aufsuchte – und die damals 13-Jährige allein vorfand, was sie ihm so erklärte: »Tut mir leid, dass Sie nur mich antreffen. Aber mein Opa, mein Vater und meine Mama sitzen derzeit wieder einmal alle im britischen Gefängnis.«
    Indira Gandhi wollte der Erzählung damals eine heitere Note geben, aber es gelang ihr nicht. Wie so oft merkte man ihr eine unterschwellige Verbitterung über ihre gestohlene Kindheit, ihr fremdbestimmtes Leben an. Sie hatte nie viel von ihrem Vater. Der bemühte sich zwar um sie und schrieb aus der Zelle rührende Briefe. Aber seine Ehe stand nur auf dem Papier, erst kam die Nation, dann die Familie; Indiras Mutter Kamala und bald auch Indira selbst litten unter Depressionen. Sie kam nach dem Tod der Mutter in europäische Internate, lebte in Genf, Paris, London, auch im Schwarzwald. Nach einer Tuberkulose-Erkrankung musste sie viele Monate in einem Schweizer Sanatorium verbringen – isoliert von ihrer Sippe, ihren indischen Bekannten. Sie fing sich. Im April 1941 kehrte Indira nach Indien zurück und heiratete mit 25 Jahren den parsischen Geschäftsmann Feroze Gandhi (keine Verwandtschaft mit dem Mahatma). Sie bekamen zwei Söhne, Rajiv und Sanjay, aber die Ehe ging nicht gut. Denn Indira widmete sich, vom Vater ermutigt und vom eigenen Ehrgeiz getrieben, ganz der Politik. Sie wurde seine engste Vertraute, Büroleiterin und Gastgeberin bei Empfängen für anreisende Weltgrößen wie Chruschtschow, Eisenhower, Tito und Nasser. Einem Biografen, der sie vorsichtig nach der möglichen Vernachlässigung ihres Gatten fragte, sagte sie kühl: »Mein Vater machte nun einmal wichtigere Arbeit als mein Mann.«
    Als Feroze Gandhi nach der Scheidung einsam starb, hat Indira – wie Freunde erzählten – eine kurze Zeit lang Schuldgefühle empfunden. Aber die waren spätestens dann weg, als ihr Vater starb. Erst übernahm sie das Rundfunkministerium, zum politischen »Warmlaufen« sozusagen, dann die Macht. Sie erwies sich bald als eine klug und kühl taktierende Meisterpolitikerin. In der Innen- und Wirtschaftspolitik behielt sie die Linie ihres Vaters bei, ohne dass die Fünfjahrespläne effektiver geworden wären. Ihren großen Triumph hatte sie in der Außenpolitik: Sie gewann den großen Krieg gegen den Erzfeind Pakistan innerhalb von zwei Wochen und war klug genug, die Geschlagenen nicht auch noch zu demütigen. Sie ordnete gegen den Willen ihres Verteidigungsministers einen Waffenstillstand an und verhinderte so auch ein Eingreifen Chinas an der Seite der pakistanischen Verbündeten. Mit der Abtrennung Ostpakistans, aus dem der neue, Indien-freundliche Staat Bangladesch wurde, hatte sie ohnehin die wesentlichen Kriegsziele schon erreicht. Bei den Wahlen 1972 errang sie mit ihrer Partei 70 Prozent der Sitze in der Lok Sabha. Ein Rekordergebnis.
    Aber auf dem Gipfel der Macht angelangt, zeigte Indira Gandhi sich arrogant und beratungsresistent und bewies letztlich mit ihrer Haltung, dass sie demokratische Institutionen verachtete. Das Oberste Gericht hatte die Premierministerin verurteilt, weil sie eine Staatsangestellte, die schon ihr Ausscheiden aus dem Amt eingeleitete hatte, zu früh für Wahlkampfzwecke eingespannt hatte. Statt das Verdikt zu akzeptieren, das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einem Amtsenthebungsverfahren geführt hätte, traf Indira Gandhi in einer Mischung aus Arroganz und Paranoia eine ungeheuerliche Entscheidung: Sie rief am 26. Juni 1975 die »National Emergency« aus. Über Nacht wurden 600 politische Gegner, darunter wichtige

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