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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Oppositionsführer, verhaftet, den Zeitungsredaktionen wurde der Strom abgestellt, das Fernsehen gleichgeschaltet, es galt ein Versammlungsverbot. Die Demokratie war zugunsten einer autoritären Regierungsform aufgehoben, zumindest auf Zeit. Und das war, besonders in den ersten Tagen und auf dem weiten Land, durchaus populär.
    Vor lauter Angst erschienen Beamte plötzlich pünktlich zum Dienst, die Züge verkehrten auf die Minute, Polizisten zögerten, Bestechungsgelder einzufordern. Aber schnell bemerkte die indische Bevölkerung, welche Nachteile der Entzug von Freiheiten bedeutete, wie schnell absolute Macht in absolute Willkür umschlagen konnte. Und in Dynastie-Denken.
    Indira Gandhi hatte ihre beiden Söhne nach England zum Studium geschickt, Rajiv interessierte sich zu ihrer großen Enttäuschung nicht besonders für politische Ämter, aber Sanjay gierte geradezu nach Macht. Indira Gandhi hatte ihn mit der Produktion eines Volksautos beauftragt, doch mit diesem Maruti ging es nicht so recht voran. Der Ausnahmezustand war dann ganz nach dem Geschmack des Möchtegern-Diktators, der immer mehr Einfluss über seine Mutter erlangte. Ohne ein offizielles Amt zu bekleiden, regierte er in Ministerien hinein; ließ Slums in Delhi gewaltsam räumen; setzte seine eigene, rigorose Politik der Familienplanung durch. Männer mit zwei Kindern oder mehr sollten sich einer Vasektomie unterziehen, auf eine so einschneidende Idee waren nicht einmal die KP -Führer in Peking gekommen. Und Sanjay verlangte von den Parteikomitees in den Provinzen Belege für die Durchführung der Politik. Zwangssterilisationen waren die Folge, oft unter höchst unhygienischen Bedingungen durchgeführt; sie brachten unendliches Leid über viele Familien. Indira Gandhi aber wirkte Sanjay gegenüber fast wie hörig, Gerüchte machten die Runde, er hätte sie im Whisky-Rausch sogar geschlagen. Sie hätte ihm dennoch freie Hand für jede seiner politischen Extravaganzen gegeben. 1977 aber setzte sie sich gegen ihren Sohn durch, beendete nach 19 schrecklichen Monaten den Ausnahmezustand und schrieb gegen seinen Rat freie Wahlen aus. Kritische Berater hatte sie längst keine mehr. Die Chamchas (»Löffelchen«) aus ihrer Partei, die sie umschmeichelten, redeten ihr ein, sie stehe vor einem Kantersieg. Sie verlor zu ihrer Verblüffung haushoch – die Inder hatten Indira Gandhi ihren Flirt mit der Diktatur mehrheitlich sehr übelgenommen. Die konservative BJP kam über Nacht an die Macht, offensichtlich auch zu ihrer eigenen Verblüffung. Die Hinduisten hatten keine Konzepte und waren bald schon abgewirtschaftet.
    Bei der Vorbereitung zur Neuwahl ging die Stählerne dann geradezu generalstabsmäßig vor. Sie hatte ihr Abgeordnetenmandat verloren und war zwischenzeitlich sogar verhaftet worden. Sie galt als verfemt. Also pilgerte sie, die nie durch eine besondere Vorliebe für Religiöses aufgefallen war, zu Vinoba Bahve, einem einflussreichen und allseits anerkannten heiligen Mann, und holte sich demütig seinen Segen. Sie trennte sich von ihren Kritikern und spaltete ihre Partei; mit dem Kongress (I) – der Buchstabe stand für Indira wie für Indien, in ihren Augen ohnehin ein Synonym – versuchte sie dann einen Neustart. Ich begleitete ihren Wahlkampf und fuhr mit ihr Tausende Kilometer über Land. Kaum jemand gab ihr eine Chance. Doch nach einer Woche war meinem mitreisenden stern -Kollegen Jay Ullal und mir klar: Sie stand vor einem Comeback, vor einer Wiederauferstehung, wie sie nicht vielen außer Lazarus gelungen war. »Dem Sieger laufen in Indien alle hinterher«, sagte sie. »Der Verlierer hat nur Staub auf den Schuhen.«
    Sie hasste den Staub der Straße, sie verabscheute allzu große Nähe zu den Volksmassen. Sie hasste Parfüm und den schweren Duft der Blumengirlanden, die ihr ständig umgehängt wurden. Sie hasste die Schreie der Menge, die ihren Weg begleiteten, und stopfte sich Wattebäusche in die Ohren. Und dennoch drückte die Aristokratin mit Sinn für stilvolles Ambiente vor Schmutz starrende Kinder an ihre Brust und aß, auf dem Boden hockend, aus den Reisschalen der Dorfbewohner. Und sie konnte dabei immer ihr Lächeln abrufen, ein Lächeln, das sie als junges Mädchen wochenlang vor dem Spiegel eingeübt hatte, auch und gerade, als es ihr schlecht ging. 62 Jahre war sie damals schon, grauhaarig, nur ein Meter sechzig groß und kaum über 50 Kilo schwer, und sie schien wie aus einem Jungbrunnen entstiegen.
    Manchmal dauerte ein

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