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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Wahlkampftag 18 Stunden. Einmal hatten wir uns in tiefer Nacht irgendwo in Madhya Pradesh verfahren und konnten den Weg zum nächsten Dorf und der letzten Veranstaltung nicht finden. Ich saß im Minibus mit zwei Wahlkampfhelfern hinten, sie vorn auf dem Beifahrersitz, eingeklemmt zwischen dem Fahrzeuglenker und dem Leibwächter. Es waren kaum Menschen unterwegs. Tauchte aber doch einmal einer unverhofft im Scheinwerfer auf, dann brachte sich Indira Gandhi in Positur, rückte das Kopftuch zurecht und knipste ihre Taschenlampe an, die ihren Kopf in ein grünlich phosphorisierendes Licht rückte. Es machte ihr nichts aus, dass das geisterhafte Leuchten ihre Gesichtszüge verfremdete. Sie beugte sich zu mir nach hinten. »Solange die Leute noch wissen, wer da über die Landstraße fährt, ist alles in Ordnung«, sagte sie, die sonst so eitel sein konnte und kaum einen Sari zweimal trug.
    Nicht ihre eher einfach gehaltenen Reden, die sie mit leiser Stimme vortrug und die eine sorgfältig dosierte Menge Selbstkritik enthielten, begeisterten die Menschen. Es war ihr kämpferischer Elan, mit dem sie neuen Wind nach der »Selbstzerfleischung meiner politischen Gegner« versprach und die Makel der Vergangenheit einfach wegwischte. »Madam, Sie werden gewinnen«, sagte ich, und sie strahlte. Sie wusste es. Sie war überzeugt von ihrer Mission, ihrer Berufung als Bharat Mata , als »Mutter Indiens«. Sie kehrte Anfang Januar 1980 mit einer überzeugenden Mehrheit der Stimmen ins Amt zurück. Wenig später ereilte sie ein Schicksalsschlag: Ihr Sohn Sanjay kam bei einem waghalsigen Flugversuch ums Leben. Die persönliche Tragödie war für Indiens Politik vermutlich ein Segen. Indira Gandhi musste nun allerdings einen neuen Nachfolger aufbauen – für sie kam da nur ihr zweiter Sohn Rajiv infrage. Der war inzwischen Pilot bei der staatlichen Indian Airline und glücklich mit der Italienerin Sonia verheiratet. Aber Privatleben, das machte ihm die Mutter klar, konnte für einen aus dieser Sippe keine Priorität haben.
    Indira Gandhi hätte mit ihrer komfortablen Parlamentsmehrheit in aller Ruhe darangehen können, die verfahrene Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes zu ordnen. Doch stattdessen verstrickte sie sich in ein Netz von Intrigen und Rachefeldzügen, die Anlässe für blutige Aufstände lieferten und Indien an den Rand des Chaos brachten. Gewalt, die sie gerufen hatte, provozierte schließlich die größte Katastrophe Indiens seit der Ermordung des Mahatma 1948. »Madams größter Fehler ist, dass sie nicht vergessen und vergeben kann, sie hat das scharfe Gedächtnis einer Kobra«, hat uns nach dem Wahlsieg einer ihrer Leibwächter gesagt. Sie nutzte es, um Vergeltung für alle Demütigungen zu üben, die sie während der Zeit ihrer Machtlosigkeit erlitten hatte. Auf Kritik, auch auf konstruktive, sachlich begründete, reagierte sie äußerst empfindlich. Sie sah darin einen Akt der Unbotmäßigkeit, einen persönlichen Angriff und schasste jeden Minister, der nicht in ihrem Sinne spurte. So war sie bald wieder von Hofschranzen umgeben, die ihr nach dem Mund redeten und sie nicht vor Gefahren warnten. Beispielsweise in der Regionalpolitik. Mehrere Bundesstaaten wie Assam, Punjab und Kaschmir drängten auf größere kulturelle Selbstständigkeit und mehr Selbstverwaltung. Doch statt ihnen wenigstens in einigen Punkten nachzugeben, setzte sie auf Konfrontation. Und sie umgab sich zunehmend mit dubiosen Beratern. Besonders häufig an ihrer Seite: Dhirendra Brahmachari, ein bärtiger und stets in blütenweißem Leinen gekleideter Yoga-Lehrer. Er wurde zu ihrem Vertrauten in allen Lebenslagen, und die Gerüchte wollten nicht verstummen, dass er auch Koffer voller Geld in die Privatgemächer der Lady transportierte, Provisionen großer ausländischer Firmen für staatliche Waffenkäufe.
    Ich hatte eine besondere Erfahrung mit Frau Gandhis Lieblingsguru: Nach einem Besuch in seinem Ashram im Himalaja-Vorgebirge flog er mich in seiner kleinen Privatmaschine zurück nach Neu-Delhi. Wir mussten nach einem Motorausfall 200 Kilometer vor der Hauptstadt notlanden. »Ich habe für Sie gebetet«, sagte er nonchalant nach seinem gefährlichen Sturzflugmanöver und dem unsanften Aufsetzen auf einem Acker. Drei Jahre später prallte Brahmachari mit der gleichen Cessna gegen einen Berg und starb. Ein Pilotenfehler, Selbstmord, Sabotageakt? Das bleibt bis heute ungeklärt.
    Indira Gandhi ereilte ihr Schicksal aus der Hand von

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