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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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der New Yorker Technologiebörse Nasdaq gehandelt. Auch Murthy war auf dem Papier bald Dollarmilliardär. Dass sein Privatvermögen nicht ganz die Größenordnung seines Kumpels und Konkurrenten Premji erreichte, lag daran, dass er gern andere am Erfolg teilhaben ließ: der Chef als Philanthrop. Er begrenzte den Anteil seiner familiären Firmenaktien auf 8 Prozent. Gut 20 Prozent der Aktien verteilte er an seine Firmenmitarbeiter, deren Durchschnittsalter unter dreißig Jahren lag, vom Prokuristen bis zum Büroboten. Zu bestimmten Börsen-Hochzeiten wurde jeder, der verkaufte, zum Millionär. Trotzdem blieben fast alle der Firma treu, fühlten sich als Teil einer Erfolgsfamilie.
    Murthy hat etwas von einem hinduistischen Asketen, von einem Sadhu: stählerne, durchdringende Augen, strenge Brille, noch strengerer Scheitel. Seine Hose sieht aus wie selbst genäht und ist so lang, dass er sie immer wieder über die Taille hochziehen muss. Wenn er Sätze formuliert, beginnen sie mit »erstens« und enden frühestens mit »viertens« – fein ziselierte Weisheiten zum Lauf der Welt und der Zukunft Indiens, die wie selbst gemachte Gesetze klingen. Sein Lehrer-Vater und die heimische Großfamilie hatten dem jungen Mann kommunistische Ideale anerzogen. An ein Auslandsstudium war bei der angespannten Finanzlage der Eltern nicht zu denken gewesen. Der Junge ging in indische Schulen (in seiner Heimatstadt Mysore nahe Bangalore), machte an indischen Universitäten (in Kanpur und Ahmedabad) seinen Abschluss als Computeringenieur. Er nahm einen Job in Paris an, trampte durch Osteuropa – und wurde in Sofia wegen einiger kritischer Bemerkungen zur maroden Wirtschaft Bulgariens ins Gefängnis geworfen. »Ich begriff, dass freie Meinungsäußerung ein hohes Gut ist. Und dass man Wohlstand erst schaffen muss, bevor man ihn verteilen kann.« Seine Firma, erzählte er mir bei einem Interview vor einigen Jahren, solle eine Meritokratie sein. Tochter und Sohn wolle er von Infosys fernhalten, »die müssen sich anderswo durchsetzen«.
    Der Milliardär Murthy, mit einer Sozialarbeiterin verheiratet, blieb tief in seinem Herzen ein Missionar. Das amerikanische Streben nach Shareholder-Value um jeden Preis ist ihm fremd. Er träumt von einem »Kapitalismus mit menschlichem Antlitz« und schwärmt vom »sozialdemokratischen Modell«, das er in der Bundesrepublik und in Skandinavien kennengelernt hat. »Ich sehe nicht, warum man einen Gegensatz zwischen Bill Gates und Mahatma Gandhi konstruieren müsste«, sagt der Unternehmer. Und er glaubt, dass man seine Ideale vorleben muss, die Bodenhaftung auch im Erfolg nicht verlieren darf. Er fliege deshalb grundsätzlich nur Economy, erzählt Murthy. Und er reinige jeden Morgen selbst die Familientoilette – eine symbolische Geste, denn für solche Arbeiten sind in der kastengeprägten indischen Gesellschaft normalerweise die vielfach verachteten »Unberührbaren« verantwortlich.
    Manche der Computerfachleute, die im amerikanischen Silicon Valley angeheuert hatten, konnte er zu Beginn des neuen Jahrtausends zur Rückkehr in die Heimat bewegen – dort ließ sich trotz viel niedrigerer Grundgehälter mehr Geld machen als in den USA . Abwerbungsversuche aus Deutschland sah er gelassen. »So sehr uns das Angebot Ihrer Regierung ehrt, Softwarefachleute nach Berlin abzustellen, für einen Programmierer von Infosys scheinen mir die deutschen Gehälter kein Anreiz«, sagte mir Murthy höflich. 21 Jahre lang hat er als Vorstandsvorsitzender von Infosys gewirkt, 2011 ist er ganz aus der Firma ausgestiegen. Heute arbeitet der mit zwei Dutzend Ehrendoktortiteln und zahlreichen anderen Ehrungen Ausgezeichnete als IT -Berater verschiedener asiatischer Regierungen. Das US -Wirtschaftsmagazin Fortune nahm ihn auf in die Liste der »zwölf weltweit größten Unternehmerpersönlichkeiten unserer Zeit«. Immer wieder prangert er in Vorträgen Indiens Korruption, Kommunalismus und Rückständigkeit an. Um der Gesellschaft etwas zurückgeben, hat er Dutzende Volksschulen in besonders verarmten, abgelegenen Regionen gegründet – und damit gleichzeitig dem Staat, der das nicht schaffte, ein Armutszeugnis ausgestellt.
    So eindrucksvoll diese Erfolge der indischen IT -Industrie auch waren (und trotz einer deutlichen Abschwächung der Börsenkurse, besonders bei Infosys, immer noch sind), es handelt sich dabei nur um eine kleine Enklave in der Wirtschaft des Subkontinents, eine winzige Insel der Seligen: Das

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