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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Auch der Geruch erinnerte an warmes, nicht mehr ganz frisches Blut. So ähnlich stank es in Schlachthöfen.
    Eines stand fest: Die Pflanze sonderte die diversen Sekrete nicht ohne Sinn ab. Vielleicht handelte es sich um Stoffe, die das Opfer bei Berührung lähmten. Oder gleich verdauten.
    Es war ein Unding, Angelika loszulassen, auch wenn es nur für wenige Sekunden war. Doch sie brauchte wieder beide Hände, um die Tür zu öffnen. Diesmal riss sie ein dünnes Stück von einer der rasch wachsenden Wurzeln ab, die aus dem vorderen Haus herankrochen, und klemmte es so unter die Tür, dass diese offen blieb. Dann packte sie Angelika erneut unter den Armen und zerrte sie hinaus. Ihr Rücken meldete sich mit heftigen Schmerzen – falls sie das hier überlebte, würde sie einen guten Orthopäden brauchen.
    Vieles kam ihr in den Sinn, doch für alles fehlte ihr die Zeit.
    Wasser. Konnte man die Pflanze mit Wasser aufhalten?
    Taschentücher. Sie musste sie sich und Angelika vor die Nase halten.
    Als sie Angelika bis in die Mitte des vorderen Hauses gezerrt hatte, verließen sie die Kräfte, und sie sank neben der Kommilitonin zu Boden. Ihr Körper war schweißgebadet, die Luft schien zum Schneiden dick. Durch einen Schleier aus salzigem, in den Augen brennendem Schweiß beobachtete sie das Geschehen. Am liebsten wäre sie Zeuge geworden, wie die Horror-Pflanze aus dem Beet kippte und beim Aufprall auf einer Bodenplatte zerplatzte.
    Doch stattdessen drangen die Wurzeln der blauäugigen Blumen mit unerhörter Geschwindigkeit in das hintere Haus vor. Sie wuchsen auf dem Boden und an den Wänden entlang. Es war, als betrachte man Zeitraffer-Aufnahmen. Offenbar hatten sie das Interesse an den beiden Menschen verloren. Sie suchten den Kontakt zu der unglaublichen Nazi-Pflanze. Anscheinend strebten sie ihr begeistert entgegen wie die Soldaten dem Führer, eilten dem schwerfälligen Gewächs entgegen, vielleicht, um ihm binnen weniger Minuten eine lebende Rampe zu bauen, auf der es das Beet verlassen konnte.
    Dann kam eines der grauen, schleimigen Blätter zum Vorschein und … attackierte die Wurzeln. Es schwang herum wie ein langer schlaffer Sack, traf die Wurzeln, blieb für einen Moment daran kleben und benetzte die Wurzeln ausgiebig mit seinem Sekret. Diese erstarrten sofort nach der Berührung. Sie starben augenblicklich ab.
    Die beiden Pflanzenarten bekriegten sich! Die Studentin sah durch die Zwischentür nur einen Ausschnitt vom hinteren Glashaus, doch sie glaubte erkennen zu können, wie die Wurzeln ihrerseits zum Gegenangriff übergingen und in die Blüte des Hakenkreuz-Gewächses drangen. Das vordere und das hintere Haus wurden zu zwei hart umkämpften Territorien.
    In Jaqueline erwachte etwas, was sie seit Minuten verloren geglaubt hatte: Hoffnung. Sie kam auf die Beine, ein Schwindelanfall folgte, sie musste sich an den Mauern der Beete festhalten. Wackelig erreichte sie die Außentür. Zwanzig, dreißig Wurzelstränge liefen quer darüber. Jaqueline packte wahllos einen davon und zerrte daran.
    Der Strang riss.
    Dass die Pflanze so ungeheuer rasch wuchs, musste auch bedeuten, dass das Wasser sehr schnell durch ihre Glieder zu rinnen vermochte, nahezu so schnell wie Blut durch die Adern von Tieren oder Menschen. Das bedeutete aber auch, dass die Pflanze Wurzelstränge, die nicht mehr weiterwuchsen, sofort vertrocknen lassen musste. Sie brauchte das knappe Wasser an anderer Stelle.
    Wie von Sinnen durchtrennte sie eine Wurzel nach der anderen. Einige der tiefer liegenden waren so dick, dass es ihr nicht gelang, sie mit den Händen zum Reißen zu bringen. Erst als sie mit den Füßen nach ihnen trat, gaben sie nach und brachen.
    Sie zog die Tür zu sich her, einer Ohnmacht nahe. Nachdem sie sie zwanzig Zentimeter weit geöffnet hatte, verklemmte sich die Tür in den Wurzelstücken und ließ sich nicht mehr lösen. Jaqueline streckte den Kopf nach draußen und holte dreimal tief Luft. Dann wandte sie sich um.
    Die Szenerie hatte sich verändert. Die Pflanze mit den Hakenkreuz-Blättern hatte den Boden erreicht – wie, würde sie nie erfahren – und balgte sich dort in grotesker Weise mit den Wurzeln. Jaquelines Geist wurde von dem Gedanken durchzuckt, einfach Anlauf zu holen, einen Satz mitten in die weiße Blüte hinein zu machen und die Blume zu zerquetschen.
    Wäre der graue Schleim auf den Blättern und das rote Sekret auf der Blüte nicht gewesen, sie hätte es vielleicht getan.
    Noch etwas war anders als zuvor:

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