Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
durch einen matt glänzenden grauen Verputz schimmerten, war alsbald vom »silbernen Kreml« die Rede.
Im Laufe des 16 . Jahrhunderts wurden weiter außen noch drei weitere Festungsmauern gezogen, um anrückenden Belagerern die Arbeit zu erschweren. Im 17 . Jahrhundert wurden die vielen Türme, insbesondere die Eck- und Tortürme, mit dekorativen Aufbauten aufgehübscht – vor allem der 1491 als Frolow-Turm errichtete Spasski-Turm an der nordöstlichen Kremlmauer, der als Haupteingang zum Kreml außerdem eine weithin gerühmte englische Turmuhr erhielt. Die wurde später mehrmals ersetzt, bis sie zu Sowjetzeiten die »Internationale« von sich gab. Pferde durften das Tor im Spasski-Turm nicht passieren, und selbst der Zar höchstselbst musste die Kopfbedeckung abnehmen, wenn er gemessen hindurchschritt. In seiner Gesamtheit wirkte der Kreml ebenso elegant wie farbenfroh – längst war seine äußerliche Wirkung wichtiger geworden als seine Funktion als Festungsbauwerk.
Viele Kirchen der Festung erhielten ein neues Aussehen oder wurden gleich neu errichtet, wie die Mariä-Entschlafens- oder Uspenski-Kathedrale. Sie ist die größte und zentrale Kirche innerhalb der Kremlmauern und das älteste vollständig erhaltene Gebäude der russischen Hauptstadt. Mit ihr schuf der Bologneser Architekt Aristotile Fioravanti sein wichtigstes Werk, das italienische Renaissance und russische Bautradition zusammenbrachte. Die neuen Konstruktionsmethoden in Ziegelbauweise, durch die schlanke tragende Säulen im Inneren möglich wurden, und der großzügig bemessene Innenraum beeindruckten seinerzeit ebenso wie die fünf goldüberzogenen Kuppeln, die Jesus und die vier Evangelisten symbolisieren und zahlreiche Nachahmung fanden. Die Uspenski-Kathedrale ist außer der russischen Hofkapelle das wichtigste Gotteshaus der russisch-orthodoxen Kirche. In ihr wurden nicht nur die Moskauer Großfürsten und später die russischen Zaren gekrönt, sie diente überdies als Weih- und lange Zeit als Grabkirche der Moskauer Metropoliten und Patriarchen.
Unter den zahlreichen Kirchen des Kremlgeländes ist eine weitere wichtige die Erzengel-Michael-Kathedrale. Ihre Vorgängerbauten hatten bereits als Grabeskirchen der Moskauer Großfürsten fungiert, und der Neubau blieb bis ins 18 . Jahrhundert Begräbnisort der russischen Zaren – Michael war der Schutzpatron der russischen Fürsten. Die heutige, ebenfalls sichtlich von der italienischen Renaissance beeinflusste Kirche entwarf im 16 . Jahrhundert ein Mailänder Architekt, ihre Vorläuferbauten aus Holz reichen bis ins 12 . Jahrhundert zurück. Die im 14 . Jahrhundert errichtete Vorgängerkirche aus Stein war baufällig geworden und konnte wohl auch die zahlreichen fürstlichen Sarkophage nicht mehr aufnehmen. 46 Sarkophage beherbergt sie heute noch, die stumm, steinern und bronzebewehrt maßgebliche Etappen der russischen Geschichte dokumentieren. Ihre Zahl macht die Erzengel-Michael-Kathedrale zu einem der größten Fürstenbegräbnisse der Welt. Auch Iwan der Schreckliche liegt hier neben seinen beiden Söhnen – darunter Thronfolger Iwan, den der Vater im Jähzorn zu Tode prügelte – sowie die ersten Vertreter der Romanow-Dynastie.
Iwan IV . der Schreckliche wurde 1547 zum ersten russischen Zaren gekrönt – der Begriff leitet sich von Caesar ab, der ja auch für das deutsche Wort Kaiser Pate stand. Der Enkel Iwans III . war 1533 , im zarten Alter von drei Jahren, Großfürst geworden – damals regierte man vom Moskauer Kreml aus über ein Gebiet, das bereits sechsmal größer war als das Herrschaftsgebiet bei Regierungsantritt Iwans III .
Iwan der Schreckliche machte aus Russland durch weitere kriegerische Erwerbungen einen Vielvölkerstaat, der bis an denPazifik reichte. Dem Moskauer Kreml ließ er dagegen wenig Aufmerksamkeit zukommen, zu seiner Zeit wurde dort nur wenig gebaut. Der Zar hatte ein offenbar gespaltenes Verhältnis zum Kreml, zu seinen höfischen Strukturen und seinen Akteuren – vermutlich wegen schlechter Kindheitserinnerungen aus der Zeit, bevor der Halbwüchsige die Regierung übernahm. Diese langen Jahre hatte Iwan regelrecht eingesperrt im Kreml verbringen müssen, der Begriff behütete Kindheit bekommt in seinem Fall also eine entschieden kalte Note. Sein notorisches Misstrauen, sein Jähzorn und die innere Zerrissenheit stammten wohl nicht von ungefähr. Manchem erschien es als ein böses Omen, dass im Frühsommer 1547 , kein halbes Jahr nach der Krönung
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