Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
letzten Viertel des Jahrhunderts wurden Stahl und Elektrizität nicht nur zu neuen Leitsektoren der Industrie, sondern geradezu zu ihrem Inbegriff. Die rivalisierenden Industrieländer Europas verglichen sich eifersüchtig miteinander – nicht zuletzt mit Verweis auf die Statistik der Stahlproduktion.
Unangefochtenes bauliches Symbol dieser Dynamik des späten 19 . Jahrhunderts ist der Eiffel’sche Stahlturm auf dem Pariser Marsfeld. Der stolze Turm, unverkennbar der Zukunft zugewandt und für denjenigen Teil der Welt stehend, der sich die Moderne aneignet, sollte als weithin sichtbares, das französische Konstruktionskönnen belegende Eingangstor der Pariser Weltausstellung von 1889 dienen. Allerdings wollte man diesem Zukunftssymbol keine übermäßig lange Zukunft zugestehen: Wie andere spektakuläre Schau- und Nutzbauten von Weltausstellungen sollte auch der Eiffelturm nach Toresschluss wieder aus dem Stadtbild verschwinden.
Mit der Industrialisierung veränderten sich insbesondere die europäischen Großstädte. Nicht nur wuchsen sie enorm, vor allem in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts, sie erhielten auch ein neues Gesicht. Sichtbarstes Zeichen der Veränderung waren die rasch größer werdenden Bahnhöfe, die dem neuen Verkehrsmittel Eisenbahn nicht nur funktional dienten, sondern es in ihrer Größe und architektonischen Ausführung auch verherrlichten. Die Bahnhofsgroßbauten des späten 19 . Jahrhunderts wurden zu ehrgeizig konstruierten Eintrittssalons in die moderne Großstadt. Als repräsentative Großgebäude, die den rollenden Dampfmaschinen huldigten, eigneten sie sich besonders gut für den baulichen Ausdruck von Modernität und technischem Können. Nicht ohne Grund wurden die Bahnhöfe als »Kathedralen der Moderne« bezeichnet, denn ihr architektonisches Prestige kam dem eines mittelalterlichen Dombaus gleich.In Paris wurden weitere Bahnhöfe mit Stahlhallenkonstruktion errichtet, beginnend mit dem lange als der schönste unter ihnen gerühmten Gare de l’Est um 1850 . Gustave Eiffel selbst hatte ein Jahrzehnt vor dem Projekt seines Pariser Weltausstellungsturms den schönsten Bahnhof Budapests gebaut, den Nyugati pályaud-var (Westbahnhof) mit seiner anmutigen Zughalle aus Stahl und Glas.
Die Eisenbahn brachte immer mehr Menschen und Güter, Informationen und Anregungen in die Städte und erwies sich als ein Motor für deren Entwicklung. Innerhalb weniger Jahrzehnte verdoppelten sich die Einwohnerzahlen, eine Metropole nach der anderen knackte die Millionen-Einwohner-Marke. Ein beispielloser Bauboom war die Folge; nicht selten wurden Häuser nach zehn, zwanzig Jahren schon wieder abgerissen, um noch größer, noch höher, noch prächtiger zu bauen. Eilfertig passten sich die städtischen Strukturen den Veränderungen an, wenn auch die Stadttechnik häufig der Entwicklung hinterherhinkte.
Hinzu kamen gravierende Eingriffe in die Stadtgrundrisse, in Paris früher als anderswo und noch dazu in kürzester Zeit: Die rigorosen Maßnahmen des Stadtpräfekten Haussmann, insbesondere in Form der Grands Boulevards , sind noch heute im Stadtbild unübersehbar. Haussmann wollte dadurch Mitte des 19 . Jahrhunderts das noch mittelalterlich geprägte kleinteilige Stadtraster aufbrechen, der Metropole mehr Luft und Funktionalität verschaffen und dafür die Bahnhöfe am Stadtrand innerstädtisch besser miteinander verbinden.
Seit der ersten »Great Exhibition« 1851 in London gehörten Weltausstellungen zu den ungeduldig erwarteten und medial umfassend begleiteten internationalen Großereignissen in den wachsenden Hauptstädten der aufstrebenden Industrieländer.Sie waren als Initialzündung für den modernen Massentourismus ein Kind des neuen Verkehrsmittels Eisenbahn, das den Rummel ja erst ermöglichte, und sie schufen den sich rasend schnell entwickelnden Ländern eine internationale Bühne für ihre Erzeugnisse und Errungenschaften. Die neuen Industriestaaten zeigten sich dabei überaus bemüht, ihren Entwicklungsvorsprung und ihre vermeintliche Überlegenheit eindrucksvoll zu vermitteln.
Der vierten französischen Weltausstellung von 1889 , deren Bezug auf die Revolution einhundert Jahre zuvor man mit Rücksicht auf die europäischen Fürstenhäuser nicht an die große Glocke hängte, sollte eher der technische als der politische Fortschritt als Aushängeschild dienen. Fast zweiundsechzigtausend Aussteller aus 54 Ländern nahmen teil, mehr als 32 Millionen Besucher strömten auf das
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