Die Neunte Gewalt
blieb natürlich die Panik, die nach den ersten Morden unausweichlich entstehen würde.
Aber dieses Chaos konnte er für sich nutzen. Ja. Direkt hinter dem Büro lag eine Cafeteria mit angeschlossenem Automatenspielsaal, eindeutig das größte Gebäude des Komplexes. Also ein Versammlungsort, zu dem sich die in Panik geratenen Gäste begeben würden, nachdem sie festgestellt hatten, daß ihre Autos am Fuß des Hügels keinen Meter weit mehr fahren würden.
Tiny Tim entschloß sich, in der Cafeteria vorbeizuschauen. Er hatte noch etwas Zeit, aber das Feuer in ihm brannte immer heißer.
»Da ist noch etwas«, sagte Kimberlain, als sie ihre Ausrüstung anlegten. »Die beiden toten Ranger müssen dienstfrei gehabt haben. Das bedeutet, daß einer oder zwei gerade auf Streife sind.«
»Funkgeräte?« fragte Hedda.
»Sie könnten uns gelegen kommen.«
»Später.«
»Falls es ein Später gibt.«
Tiny Tim glitt von dem Gebäude fort und achtete darauf, ständig in Deckung zu bleiben. Die Hütten ballten sich im Norden und im Süden zusammen; zwischen ihnen lagen Basketball- und Tennisplätze. Sobald die ersten Gäste in Panik ausgebrochen waren, würden sie zu den Parkplätzen laufen, doch er mußte sie irgendwie wieder zum Haupthaus zurücktreiben.
Aber wie?
Garth Seckle hatte sich die Frage kaum gestellt, als ihm auch schon die Antwort einfiel. Er glitt in die Schatten hinter einem Baum und überprüfte seine Waffen. Er zählte die Splittergranaten, die er genau wie die Vierzig-Millimeter-Granaten mit seiner M-203 abschießen konnte, einer Kombination aus M-16 und Granatwerfer. Schließlich zog er den Rucksack auf die Brust und tastete nach den Claymore-Minen – Steckminen, mit denen man eine schöne Schweinerei anrichten konnte.
Er hatte genug davon. Mehr als genug.
34
In der Ranger-Station hatten Kimberlain, Hedda und Chalmers mittlerweile ihre Ausrüstung angelegt. Dank ebenfalls erstandener Geschirre konnten sie sich die provisorischen Flammenwerfer wie Sauerstofftanks auf die Rücken schnallen. Die zu Mini-Bazookas umgebauten schwarzen Wasserrohre hingen an Riemen an ihren Schultern. Kimberlain trug zwei davon, Hedda und Chalmers jeweils eins. Die sechs Plastikröhren-Bomben hatten sie gleichmäßig untereinander aufgeteilt, und jeder trug eine Schrotflinte locker auf dem Rücken, um sie mit einer Bewegung greifen zu können. Die Zündschnüre, Feuerzeuge und Zigaretten bewahrten sie trocken am Körper auf, um nicht das Risiko einzugehen, ihre behelfsmäßigen Waffen aufgrund des Regensturms nicht einsetzen zu können.
»Wir müssen herausfinden, wo der Junge ist«, sagte Hedda plötzlich, als sie sich gerade wieder in den Sturm hinauswagen wollten.
»Du würdest dort zuerst zuschlagen«, schloß Kimberlain.
»Verdammt richtig.«
»Aber wir wissen nicht, ob Tiny Tim genauso vorgeht. Vergiß nicht, bei seinen bisherigen Anschlägen wandte er sich nie sofort gegen seine eigentlichen Opfer. Ihn müssen wir aufhalten, Hedda, ihn müssen wir finden!«
»Es geht um meinen Sohn, um deinen Neffen!«
»Willst du ihn wirklich kennenlernen?«
Sie war unschlüssig. »Ich will … ihn retten.«
»Dann müssen wir Seckle aufhalten.«
»Sollen wir uns … trennen?« fragte Chalmers. Die Worte aus seinem Lautsprecher waren in dem tosenden Sturm kaum zu verstehen.
»Wir bleiben zusammen, bis wir wissen, seit wann Tiny Tim schon hier ist.«
»Ob er schon angefangen hat?« fragte Hedda ängstlich.
»Finden wir es heraus«, entgegnete Kimberlain und trat in den Regen hinaus.
Tiny Tim hatte sechs Claymore-Minen dabei und benutzte sie alle. Das Eingraben dauerte länger, als ihm eigentlich recht war, doch der Zeitaufwand würde sich lohnen.
Claymore-Minen bestanden im Prinzip aus Plastiksprengstoff, der mit bis zu siebenhundert Metalldornen gespickt war. Seckle hatte sie in den Boden gesteckt und an Stolperdrähten angeschlossen. Sobald die Feriengäste zu ihren Fahrzeugen flohen, würden sie die Drähte berühren, und die Explosionen würden sie zum Umkehren zwingen und ihre Panik noch vergrößern.
Tiny Tim steckte die letzte Claymore in die Kuhle im durchnäßten, weichen Boden und tarnte sie sorgfältig mit Gras. Er hatte die Minen an Stellen angebracht, an denen die Bewohner beider Hüttenballungen auf dem Weg zum Parkplatz vorbeikommen mußten.
Der Gedanke an die donnernden Explosionen und die nachfolgenden Schmerzensschreie ließ in ihm die Erkenntnis reifen, daß dieser Besuch sich grundlegend von
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