Die Neunte Gewalt
Das hätte 'ne Wirkung gehabt, als würden wir das Gelände mit zehn Maschinengewehren durchmähen. Und keiner unserer Jungs hätte sich auch nur auf 'ne halbe Meile heranwagen müssen.«
Captain Seven streichelte noch immer das moderne Pfeifchen auf seinem Schoß, als wäre es ein schlafendes Kind.
»Also gehe ich zu dem Lieutenant, und der schickt mich zu einem anderen Lieutenant, und der schickt mich zu einem Captain, und der sagt: ›Mann, das klingt sehr beeindruckend, ist aber viel zu teuer.‹ Ob ich mir nicht was Preisgünstigeres einfallen lassen könnte, das er dem Colonel leichter verkaufen kann? Also sage ich ihm, er soll die Hosen runterlassen, wenn die Vietnamesen kommen, und seine Fürze anzünden, das würde ihn nicht so teuer zu stehen kommen.«
Kimberlain lachte.
»He, Fährmann, habe ich dir schon mal meine Marihuana-Story erzählt?«
»Du hast mir schon jede Menge Marihuana-Stories erzählt, Captain.«
»Nein, ich meine die absolute Marihuana-Story. Es war so. Du kannst sie gar nicht kennen, weil es vor deiner Zeit passierte, aber eins der größten Probleme in Vietnam war damals, was wir mit dem ganzen Shit anfangen sollten. Ich meine, es konnte damals in unseren Camps ganz schön heiß hergehen, wenn die Jungs nicht aufpaßten. Also ließ ich mir was einfallen, womit ich den Shit in ein methanähnliches Gas umwandeln konnte, gegen das Napalm wie eine Sonnenschutzcreme wirkte. Diesmal ging ich direkt selbst zum Colonel. Er sagte, ihm gefiele die Idee, und gab mir ein Dutzend Formulare zum Ausfüllen. Auf einem stand, daß ich eine Materialprobe zur Prüfung einschicken mußte. Gott im Himmel, ich hatte den Eindruck, die wußten gar nicht, daß wir im Krieg waren! Also dachte ich mir, zum Teufel damit, und tat, was sie verlangten: Ich schickte ihnen einen Beutel Shit.«
»Und da haben sie dich nach Hause geschickt«, glaubte Kimberlain sich zu erinnern.
»Nicht ganz. Die Arschlöcher haben zwei Wochen gebraucht, um herauszufinden, was in dem Beutel war.«
»Du hast vierundzwanzig Stunden, um herauszufinden, worum ich dich heute bitten will.«
Captain Sevens Augen leuchteten auf. »Wieder ein Mord in einem hermetisch abgeriegelten Raum?«
»Besser. Ein Massenausbruch aus dem Hochsicherheitstrakt in den ›Locks‹.«
»Wie viele?«
»Vierundachtzig.«
»Leeds?«
»Auch darunter.«
»Oh, Scheiße.«
Captain Seven sprang vom Bett und stürmte zu der schwarzen Kleidertruhe. Aus der obersten Schublade nahm er einen Plastikbeutel und öffnete ihn. Kimberlain sah, daß er feingemahlenes, grünschwarzes Marihuana enthielt.
»Hawaii-Lava«, erklärte er: »Das beste, das es gibt.«
»Ich dachte, du hättest damit aufgehört.«
Seven füllte die entsprechende Kammer mit dem Stoff. »Das war heute morgen. Aber jetzt muß ich meinen Verstand zusammenhalten.«
Captain Seven saugte den Inhalt einer Kammer ein. Das Wasser wallte auf und schlug Blasen, und plötzlich war überall Rauch, der sich durch das Labyrinth der Röhrchen den Weg in seine Lungen bahnte. Der Captain schloß die Augen und atmete den Rauch tief ein.
»Aaah«, machte er ein paar Sekunden später mit wohliger Stimme und öffnete die Augen wieder. »Schon besser. Jetzt bin ich bereit. Schieß los.«
Kimberlain erzählte ihm die Geschichte, wie Vogelhut sie ihm berichtet hatte, beschrieb in allen Einzelheiten die Umstände des Ausbruchs und betonte den beschränkten Zeitfaktor.
»Die Arschlöcher haben in sechs Minuten Dunkelheit wirklich 'ne Menge abgezogen.«
»Vogelhut, dieser Hirni, ist ganz sicher, daß sie nicht mehr Zeit hatten. Wir haben es also mit einer hochmodernen Festung auf einer Insel inmitten eines tobenden Sturms zu tun. Selbst wenn die Insassen aus ihren Zellen spaziert sind … wohin, zum Teufel, sind sie verschwunden? Wie sind sie von der Insel gekommen?«
Captain Seven nahm noch einen langen Zug an seiner Pfeife. Als er wieder sprach, klang seine Stimme nasal und heiser vom Glücksfeuer in seiner Kehle.
»Geh nach Hause und leg dich aufs Ohr, Fährmann. Überlaß das Unmögliche mir.«
»Vierundzwanzig Stunden, Captain.«
Seven griff nach einer alten Jeansjacke, die an einem Haken hing. »Wenn ich jetzt losfahre, bin ich bei Tagesanbruch dort. Wir treffen uns am Tag danach zum Frühstück.«
Direkt nach seinem Gespräch mit Captain Seven fuhr Kimberlain zurück zu seiner Hütte in den Wäldern Vermonts. Er haßte lange Fahrten, da er sich unterwegs nur mit seinen Gedanken wachhalten konnte. An
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