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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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ereignet. Das erste war in Boston ermordet worden. Der Geburtsort dieses Opfers war Gilford, New Hampshire, gewesen; das dortige Opfer war in White Plains, New York, geboren worden. Und so ging es weiter, ein Staat nach dem anderen.
    Das sechzehnte Opfer war in der Stadt Medicine Lodge im Staat Kansas geboren worden. Dort, in der Küche des einzigen Schnellrestaurants des Ortes, war Kimberlain zum erstenmal Winston Peet begegnet. Er stand über der Leiche der einzigen Kellnerin des Lokals. Kimberlain hatte in seiner aktiven Zeit mit jeder Menge Riesen zu tun gehabt, die entweder abnorm groß oder abnorm muskulös gewesen waren, jedoch niemals ein Geschöpf gesehen, auf das beides in einer so überproportionalen Hinsicht zutraf.
    Das Monstrum hatte unter seinem kahlen Schädel gegrinst und den Kopf der hübschen Kellnerin über den Boden vor des Fährmanns Füße gerollt. Der nachfolgende Kampf hatte in gewisser Hinsicht Geschichte gemacht, und er dauerte genau die siebenundfünfzig Sekunden, welche die durch den Lärm alarmierten FBI-Agenten benötigten, um zur Küche vorzudringen. Sie fanden Kimberlain über dem Ungetüm stehend, die Pistole in der Hand. Der Arm, der sie hielt, hing schlaff aus einer ausgerenkten Schulter. Sein anderes Handgelenk war gebrochen. Er hustete bereits Blut aus zahlreichen inneren Verletzungen, darunter ein böser Nierenriß. Das Ungetüm hingegen blutete heftig aus einer Verletzung am Schlüsselbein, die von einem Hackmesser stammte, das Kimberlain ihm tief ins Fleisch getrieben hatte; diese Verletzung hatte Peet letztendlich auch gestoppt.
    Als Kimberlain hörte, wie die FBI-Agenten durch die Türöffnung stürmten, richtete er die Pistole auf das Ungetüm.
    Schieß, sagte er sich.
    Erschieße mich, schienen die blutunterlaufenen Augen des Ungeheuers zu bitten.
    Der Fährmann hielt die Waffe starr auf ihn gerichtet, und dann hatten die FBI-Agenten übernommen. Sie zielten mit ihren Pistolen und Gewehren auf Peet, als sei er ein wildes Tier, das sie endlich im Urwald in die Enge getrieben hatten.
    Wildes Tier – daran fehlte nicht viel. So lautete zumindest der Schuldspruch des Gerichts. Die Geschworenen hielten Winston Peet für völlig unfähig, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, und verurteilten ihn zur lebenslangen Haftstrafe in den ›Locks‹. Kimberlain glaubte zu diesem Zeitpunkt, mit Peet endgültig fertig zu sein, doch dann begann Peet, ihm zu schreiben, und es kamen immer mehr Briefe.
    Zwei davon hatten eine besonders brutale Mordserie zum Thema, und wegen dieser beiden Briefe hatte Kimberlain vor drei Jahren die Anstalt aufgesucht, Peet schien etwas über das Ungetüm zu wissen, das der Fährmann zu diesem Zeitpunkt jagte. Knapp eine Woche nach ihrer Unterhaltung war Peet aus ›The Locks‹ ausgebrochen und tauchte kurz darauf in einem Krankenzimmer auf, in dem Kimberlain lag. Er behauptete, geläutert worden zu sein, wiedergeboren; sein ehemaliges Ich sei von der spirituellen Kugel des Fährmanns getötet worden. Er wollte Kimberlain helfen und versicherte, er sei der einzige, der dazu imstande war.
    Wie sich herausstellte, behielt Peet recht. Eine Schicksalsfügung schmiedete sie als Verbündete zusammen, und als die Sache ausgestanden war, schuldete Kimberlain dem Riesen zuviel, als daß er ihn wieder in die Anstalt zurückschicken konnte. Also hatte er Peet hierher gebracht, zu der Hütte, die er selbst in den Wäldern Maines gebaut hatte, damit er dort sein Leben allein und in Frieden verbringen konnte. Er besuchte den Riesen in sporadischen Abständen, eher wegen seiner als wegen Peets Bedürfnissen, wie er sich eingestehen mußte.
    Winston Peet drehte sich jetzt um und sah ihm entgegen, die Axt in der Hand. Die Muskeln seines gewaltigen Brustkorbs schienen sich zu kräuseln.
    »Sprechen wir über Tiny Tim, Fährmann.«

8
    »Deshalb bin ich nicht gekommen.«
    Peet lehnte die Axt gegen den Klotz und kam auf ihn zu. Bei einem Mann seiner Größe hätte bei jedem Schritt die Erde erzittern müssen, doch Peet bewegte sich leichtfüßig und grazil, und die Mokassins, die er selbst genäht hatte, streiften kaum den harten Boden. Sein kahler Schädel schimmerte vor Schweiß. Er blieb einen Meter vor Kimberlain stehen, streckte jedoch nicht die Hand aus.
    »Aber er ist da draußen, Fährmann, und nur du kannst ihn schnappen.«
    Kimberlain musterte den Riesen, und sein Blick verharrte kurz auf der sauber verheilten Narbe an der Stelle, an der er ihm das Hackmesser

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