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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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ins Schlüsselbein getrieben hatte. »Woher hast du gewußt, daß ich komme?«
    »Du brauchst mich wieder. Dein Verlangen erreicht mich wie ein Seil, das mich in die Welt zurückziehen will, die zu verlassen du mir geholfen hast.«
    »Das FBI hat sich an mich gewandt. Eine junge Dame aus der Abteilung Verhaltenswissenschaft, die eine eigene Theorie über Tiny Tim hat. Sie ist darauf gekommen, daß du vielleicht noch lebst. Sie glaubt, daß du Tiny Tim bist.«
    »Ach ja?«
    »Ja.«
    »Und was glaubst du?«
    »Wie ich schon sagte, deshalb bin ich nicht hier.«
    »Wenn du willst, kannst du meine Füße überprüfen.« Er schielte zu der Axt hinüber. »Vielleicht habe ich mir ja versehentlich einen Teil des linken Fußes abgehackt.«
    »Ein cleverer Mensch würde keine Axt brauchen, um die Spuren zu hinterlassen, die er hinterlassen will.«
    »Ein Mensch wie du, Fährmann.«
    »Aber mich hat die junge Dame nicht in Verdacht.«
    »Vielleicht kennt sie dich nicht so gut wie ich.«
    »Und das soll heißen?«
    Peets Gesicht war ausdruckslos. »Akzeptiere, was du bist, Fährmann. Hör auf, mich als Maßstab für die Ebene zu benutzen, die du gern erreichen möchtest. Sogar die junge Frau vom FBI hat dich angesehen und wußte es.«
    »Wußte was, Peet?«
    »Daß sie sah, hinter was sie her war. Vielleicht nicht dem Namen, aber ganz bestimmt dem Gefühl nach. Die andere Ebene, Fährmann, Sie hat gewußt, daß nur jemand, der sich dort befindet, das tun kann, was der getan hat, den sie festnehmen soll. Du, ich und jetzt Tiny Tim. Sie hat mich beschuldigt, aber genausogut hätte sie auch dich beschuldigen können.«
    »Ich wollte ihr nicht glauben.«
    »Warum nicht?«
    »Weil das bedeutet, daß ich mich in dir geirrt habe.«
    »Nein – weil es bedeutet, daß du dich in dir selbst geirrt hast. Deine Fehleinschätzung meines Charakters würde nur die Fehleinschätzung deines eigenen spiegeln. Wenn ich noch immer einer solchen Tat fähig sein könnte, gälte das auch für dich.«
    »Und könntest du es?«
    Der Hauch eines Lächelns legte sich auf Winston Peets Lippen. »Wie gut oder schwach meine Augen auch sein mögen, sie können nur eine gewisse Entfernung überblicken, und der Raum, auf dem ich lebe und mich bewege, wird von dieser Entfernung begrenzt. Die Linie dieses Horizontes, der ich nicht entkommen kann, bestimmt in allen kleinen und großen Dingen mein unmittelbares Schicksal. Um jedes Lebewesen kannst du dir einen Kreis vorstellen, der einen Mittelpunkt hat und nur für dieses eine Wesen gilt. Anhand dieser Horizonte, in denen jeder von uns gefangen ist wie hinter Gefängnismauern, messen wir die Welt …«
    »Und wie mißt Tiny Tim sie?«
    »Das Böse der Starken schadet gedankenlos anderen – es muß sich entladen. Das Böse der Schwachen will anderen schaden und die Spuren des Leids sehen, das es verursacht hat.«
    »Du behauptest also, Tiny Tim sei schwach.«
    »Körperlich ist er uns gewachsen, aber nicht in anderer Hinsicht. Wie viele sind es mittlerweile?«
    »Über zweihundert. Zwei verschiedene Städte nicht einmal innerhalb einer Woche.«
    Peet schien kurz darüber nachzudenken. »Ihm gefällt, was er tut, Fährmann. Ich habe ihn dort draußen gespürt, ein schwarzes Vakuum, das das Wenige, das es aufnehmen kann, in sich aufsaugt.«
    »Aber du hast nicht nach mir geschickt. Du wolltest nicht …«
    »Helfen?« beendete Peet den Satz. »Ich wollte es nicht, weil ich es nicht kann. Ich kann dir bei Tiny Tim nicht helfen, denn die dunkle Welt, die er bewohnt, liegt am Rand unserer eigenen. Will ich ihm nachspüren, muß ich diese Grenze überschreiten, und ich fürchte, sobald ich sie einmal überschritten habe, werde ich nie mehr zurückkehren können.«
    »Mit anderen Worten, du hast Angst davor, wieder zu dem Mann zu werden, der du einmal warst.«
    »Weil ich nie aufgehört habe, dieser Mann zu sein, Fährmann. Ich habe bloß mein Innerstes neu definiert. Um Tiny Tim nachzuspüren, müßte ich es erneut neu definieren.«
    »Wer Ungeheuer jagt, mag zusehen, daß er dabei nicht zum Ungeheuer wird«, wandelte Kimberlain Nietzsche ab.
    Der Riese lächelte breit. »Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.«
    »Ich bin gerade von dort zurückgekommen«, erwiderte Kimberlain. »Und er ist leer.«
    »Leeds ist draußen«, sagte Kimberlain, als sie sich in der Hütte befanden. Peet runzelte die Stirn. »Er ist vor drei Tagen aus ›The Locks‹ entkommen, zusammen mit

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