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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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das?«
    »Ungeheuer. Die Verhaltenswissenschaft kann sie mit jedem psychiatrischen Fachbegriff belegen, der Ihnen gerade einfällt, doch sie sind und bleiben Ungeheuer.«
    »Was ist mit seiner fünften Identität?«
    »Lehrer an einer Privatschule. Eine siebente Klasse irgendwo in Florida. Er machte eines Tages mit seinen Schülern einen Ausflug …«
    »O nein …«
    »Man hat nie auch nur eine Leiche gefunden.«
    Die Talley war plötzlich sehr bleich. »Er war der schlimmste, nicht wahr?«
    »Oder der beste. Das hängt von der Sichtweise ab.«
    »Großer Gott … Wie haben Sie das nur geschafft? Solchen Monstern nachzujagen, meine ich?«
    »Weil ich es mußte … genau wie Sie.«
    »Und in diesem Fall müssen Sie ihn erwischen, bevor er Sie erwischt? Ist es das?«
    Kimberlain trat näher an sie heran, so daß er sich mitten in dem Licht befand, das von den zahlreichen Linsen des multidimensionalen Fernsehgeräts reflektiert wurde. Für einen Augenblick stellte Lauren Talley sich vor, er sei wirklich eine Projektion, kein Mensch, sondern ein gespenstisches Phantom, das in einer Auflösung von sechshundert horizontalen Zeilen projiziert wurde.
    »Keineswegs«, erwiderte er. »Falls Leeds hierher kommt, dann nur, weil er sich in einer ganz bestimmten Hinsicht völlig sicher fühlt. Weil er absolut sicher ist, daß er ein perfektes Versteck hat.«
    »Das heißt …«
    »Das heißt, eine sechste Identität, die ich nicht aufdecken konnte, eine sechste Identität, in der er sicher untertauchen kann. Und sobald er das erst einmal tut, werden wir ihn nie mehr finden.«
    »Wo wollen Sie anfangen?«
    »Bei einem Experten«, erwiderte der Fährmann.
    Schon mehr als die Hälfte des Tags war verstrichen, als Kimberlain seinen Nissan Pathfinder von der Straße steuerte und so weit querfeldein fuhr, wie die Wälder Maines es gestatteten. Danach mußte er noch über drei Kilometer zu Fuß zurücklegen. Hier hatte es einmal eine Straße gegeben, mit der ein Geländewagen mit Allradantrieb spielend leicht fertig wurde. Doch sie war schon vor geraumer Zeit getarnt worden und dann zugewachsen, um die Existenz der Hütte und ihres derzeitigen Bewohners vor unwillkommenen Blicken zu schützen.
    Kimberlain näherte sich der Hütte, sorgsam darauf bedacht, seine Anwesenheit nicht zu verbergen, sie aber auch nicht allzu laut zu verkünden. Die Hütte sah beträchtlich anders aus als zu der Zeit, da er selbst sie gelegentlich benutzt hatte. Ihr neuer Bewohner hatte die Bäume, das Gestrüpp und das Unterholz in der Nähe nicht mehr gepflegt, hatte es verwildern lassen. Schlingpflanzen hatten das Dach überwuchert und die Pfeiler der Veranda bedeckt. Die Hütte erweckte jetzt nicht mehr den Anschein, als habe man sie im Wald errichtet, sondern wirkte eher so, als wäre sie aus ihm gewachsen. Es überraschte Kimberlain nicht.
    Krach!
    Er erkannte augenblicklich, daß das Geräusch hinter dem Haus erklungen war. Während er herumging, hörte er es noch dreimal, bevor sein Blick auf die gewaltigen nackten Schultern und die muskelbepackten Arme fiel, die mühelos eine Axt schwangen.
    Krach!
    Ein weiterer Scheit zersplitterte in zwei Teile und fiel vom Klotz. Der ordentlich gepackte Holzstapel, der fast die gesamte freie Fläche zwischen der Hütte und dem Wald beanspruchte, würde für mindestens zwei, vielleicht sogar drei Winter reichen. Doch Kimberlain wußte, daß er trotzdem von Tag zu Tag größer werden würde.
    »Hallo, Fährmann«, sagte Winston Peet, ohne sich umzudrehen, während er wieder mit der Axt zuschlug. »Ich wußte, daß du kommen würdest.«
    Es war seltsam, diesen Mann jetzt einen Freund zu nennen, da sie seit dem Tag, an dem sie sich vor sechs Jahren zum erstenmal begegnet waren, mit beträchtlicher Entschlossenheit versucht hatten, sich gegenseitig zu töten.
    Fünfzehn Morde waren begangen worden, bevor die Abteilung Verhaltenswissenschaft den Fährmann hinzugezogen hatte. Bei allen Leichen hatten die Köpfe gefehlt; die Pathologen hatten erklärt, daß der Mörder sie mit bloßen Händen abgerissen hatte, nachdem er die Opfer erwürgt hatte. Der Täter mußte also unglaublich kräftig sein. Suchen Sie nicht nach einem Mann, hatte man ihm geraten, suchen Sie nach einem Monstrum.
    Schließlich hatte Kimberlain herausgefunden, daß die Antwort auf die Frage, wie man ihn fassen konnte, die ganze Zeit über vor aller Augen gestanden hatte: Der jeweils nächste Mord hatte sich im Geburtsort des jeweils vorherigen Opfers

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