Die Neunte Gewalt
stürmte aus der Wohnung auf den Gang, rammte ein neues Magazin in den Schacht und lief auf die Treppe zu.
Dann verharrte sie. Das Treppenhaus war eine tödliche Falle. Der Feind beherrschte es. Sie konnte dieses Stockwerk zum Schlachtfeld machen, doch irgendwann würde die Gegenseite sie durch ihre bloße zahlenmäßige Überlegenheit niederzwingen. Nein, sie mußte fliehen, aber wie? Wie!
In die Wand rechts neben ihr war eine hüfthohe Tür eingelassen, die man aufziehen konnte. Bei diesem Gebäude mußte es sich einmal um ein Hotel gehandelt haben, und auf jeder Etage befanden sich noch Wäscheschächte. Natürlich!
Plötzlich begriff sie, warum Deerslayer sich ausgerechnet hier niedergelassen hatte. Der Schacht führte in den Keller hinab, und vom Keller aus …
Als Hedda die Klappe geöffnet hatte, wurden auf beiden Seiten des Ganges Türen aufgerissen. Im nächsten Augenblick hatte sie sich durch die schmale Öffnung gezwängt und glitt zum Keller hinab. Zuerst gelang es ihr, den Fall zu bremsen, indem sie Hände und Füße gegen die Wände drückte, doch die beiden letzten Stockwerke legte sie mit einem halsbrecherischen Tempo zurück. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen.
Hedda rollte sich auf den Bauch und rappelte sich auf die Knie hoch. Die Dunkelheit des Kellers wurde nur von dem trüben Licht der Straßenlampen gebrochen, das durch die übermalten Fenster fiel. Mit ausgestreckten Händen kroch sie über den Boden.
Wo war er? Er mußte doch irgendwo hier sein, verdammt noch mal!
Als sie fast die gegenüberliegende Wand erreicht hatte, berührten ihre Finger den Schnappriegel auf dem Boden. Sie hatte es gewußt! Da Deerslayer geahnt haben mußte, daß er sich in Schwierigkeiten befand, hatte er sich nur für dieses Haus entschieden, weil es über einen Zugang zu dem Tunnelsystem verfügte, das der französische Widerstand im Zweiten Weltkrieg benutzt hatte. Die Caretakers waren auf solche Überlegungen getrimmt. Hedda ergriff den Riegel mit beiden Händen und zog daran. Die verborgene Tür gab erst nach, klemmte dann jedoch. Hedda mußte loslassen und es noch einmal versuchen. Die Zeit wurde knapp; es konnte sich nur noch um ein paar Sekunden handeln, bis ihre Verfolger die Kellertür gefunden hatten und hindurchstürmten.
Hedda zog diesmal heftiger, und die Tür gab nach. Der Gestank von Moder, Schimmel und Fäulnis stieg ihr in die Nase. Vor ihr befand sich eine Leiter, und direkt daneben eine Taschenlampe, die Deerslayer dort festgeklemmt hatte. Als sie danach griff, hörte sie, wie Schritte die Kellertreppe hinunter polterten. Hedda ließ sich auf die dritte Sprosse hinab und griff nach oben, um die Falltür wieder zu schließen, als die Sprosse unter ihrem Gewicht nachgab. Sie stürzte gut drei Meter tief und schlug mit dem Kopf heftig gegen die Leiterstange. Die Taschenlampe glitt ihr aus der Hand. Das Glas zersprang, und die Lampe rollte zur Seite und warf ein spinnennetzähnliches Lichtmuster durch den Hohlraum. Die Pistole hatte Hedda ebenfalls verloren. Über ihr tauchten bereits Gestalten neben der geöffneten Falltür auf. Hedda nahm die Taschenlampe und taumelte davon.
Die Tunnels der französischen Resistance stellten eine Mischung aus längst aufgegebenen Abwasserkanälen und den Gängen dar, die sie miteinander verbanden. Einige waren sogar für Besichtigungen geöffnet, doch andere – wie dieser – vergessen worden und seit Jahrzehnten unbenutzt. Dementsprechend widerwärtig war der Gestank.
Hinter ihr durchdrang das Licht stärkerer Taschenlampen die Dunkelheit. Das Geräusch von Schritten, die durch den feuchten Schlamm stapften, vermischte sich mit dem Klacken teurer Schuhe auf der Straße über dem Tunnel. Waffenlos, wie sie war, konnte Hedda niemals hoffen, alle Verfolger auszuschalten. Und dieses Labyrinth aus Tunneln und Gängen konnte sie auch nicht auf ewig schützen. Es war sogar gut möglich, daß sie bei dem Versuch, ihre Verfolger abzuschütteln, selbst die Orientierung verlor.
Doch im Augenblick blieb ihr keine andere Wahl, als in Bewegung zu bleiben. Aus Furcht, das Licht der Taschenlampe könne sie verraten, knipste Hedda sie aus und tastete sich an der Wand entlang. Sie brauchte ein Versteck. Wenn sie irgendein Versteck finden konnte …
Der Boden vor ihr fiel plötzlich steil ab, und Hedda stürzte und rollte hinab. Dann wurde das Gefälle geringer, und sie fand sich in einer Höhle in einem Teich wieder, von dem ein Gestank ausging, der sie zu
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