Die Neunte Gewalt
denen Opfer auf ihn warten konnten. Vier Ärzte – er erkannte sie an ihren weißen Kitteln – hatten heute abend Bereitschaft, und alle hielten sich in diesem Stockwerk auf. Hinzu kamen die diensthabenden Schwestern. Die Sache versprach, nicht ganz einfach zu werden.
Tiny Tim überprüfte seine beiden schallgedämpften Uzi-Maschinenpistolen und trat aus dem Treppenhaus. Es bestand kein Grund mehr, verstohlen vorzugehen. Die erste Person, die er sah, war ein bebrillter Arzt, der seinen Blick auf ein Krankenblatt konzentriert hatte. Er bemerkte Tiny Tim gar nicht. Eine Salve schleuderte ihn zurück und bespritzte eine gerade telefonierende Sekretärin mit Blut. Tiny Tim erschoß sie ebenfalls und beobachtete, wie ihre Leiche unter dem Schreibtisch verschwand. Dann, fast mechanisch, begab er sich zu einer Tür mit der Aufschrift INTENSIVSTATION/ZUTRITT VERBOTEN.
Die Doppeltür wurde aufgestoßen, bevor er sie erreicht hatte, und zwei Krankenschwestern kamen herausgestürzt; offenbar lag ein Notfall vor. Tiny Tim bedachte eine jede mit einer Salve aus seiner Uzi, und die weißen Trachten der Frauen färbten sich rot. Er lief durch die Tür und fand die restlichen diensthabenden Ärzte und Schwestern um ein Bett rechts von ihm zusammengedrängt. Die anderen Behandlungskabinen der Intensivstation schienen leer zu sein; nur bei dieser waren die Vorhänge zurückgezogen.
»Jetzt!« befahl einer der Ärzte und drückte die Elektroden eines Defibrillators gegen die Brust des Patienten.
Ein dumpfes Geräusch, und die Brust des Mannes hob sich.
»Kein Puls«, meldete eine der Schwestern.
»Wir verlieren ihn«, sagte eine andere.
»Jetzt!« wiederholte der Arzt, der den Defibrillator bediente. Tiny Tim gefiel das Geräusch, das das Gerät verursachte. Er wartete, bis sich die Brust unter dem Stromstoß erneut gehoben hatte, bevor er zuschlug.
»Jetzt«, sagte er so laut, daß alle es hören konnten und zu ihm herumfuhren. »Sie haben ihn verloren«, fügte er hinzu und eröffnete das Feuer.
Die Leichen stürzten gegen die Überwachungsmonitore und rissen sie um. Auch einige Fusionsgestelle kippten um, und das Geräusch zerbrechenden Glases und das Scheppern von Metall, das auf die Fliesen schlug, hallten durch die Intensivstation. Nun rührten sich die restlichen Intensivpatienten; die, die schreien konnten, schrien, und Tiny Tim feuerte seine Maschinenpistolen auf sie ab. Bewegungsunfähig, wie sie waren, dauerte es nur wenige Sekunden. Die meisten starben mit Röhren in den Nasen oder Nadeln in den Armen. Die Ärzte, die im Aufenthaltsraum geschlafen hatten, kamen durch die Doppeltür gestürmt, als Tiny Tim gerade fertig war, und er widmete ihnen den Rest seiner Magazine. Ein schöner Glücksfall, der ihm den Weg in ihr Quartier ersparte.
Bei seiner Vorbereitung dieses Besuchs hatte er herausbekommen, daß sich im Erdgeschoß und in der Kelleretage des Krankenhauses Verwaltungsräume, Laboratorien, die Pathologie und die Leichenhalle befanden. Auch zu dieser nachtschlafenden Stunde mochten sich dort noch einige Angestellte aufhalten, und Tiny Tim ging hinunter, um sein Werk zu vollenden.
Lauren Talley hatte die Intensivstation bis zum Schluß für Kimberlain aufgespart, was ja auch dem Weg entsprach, den Tiny Tim ihren Ermittlungen zufolge eingeschlagen hatte. Auf den oberen Stockwerken hatten Mauern die Sterbenden voneinander getrennt, den Schock gedämpft und das Ausmaß der Tat etwas gemildert. Auf der Intensivstation wurden die Betten jedoch nur von Vorhängen und spanischen Wänden voneinander getrennt, die bei dem Anschlag größtenteils zerfetzt worden waren.
Und überall war Blut, dunkel und getrocknet: auf dem Boden, auf den Wänden, auf den zusammengeknüllten, gerade abgezogenen Bettlaken. Kimberlain wollte gar nicht wissen, wie viele Opfer hier unten gestorben waren. Die genaue Zahl war eine nutzlose Information. Die einzige Wirklichkeit war der Strom von Blut.
»Hier hat er sein Werk vollendet«, sagte Talley. »In den tieferen Stockwerken … Stockwerken …«
Ihre Stimme war immer leiser geworden, und Kimberlain hatte sich zu ihr umgedreht und sprang zu ihr. Er konnte sie gerade noch auffangen und spürte, wie sie sich gegen ihn drückte.
»Es tut mir leid«, murmelte sie.
»Das muß es nicht.«
»Ich habe einfach nicht mehr schlafen können.« Sie löste sich wieder von ihm. »Selbst nach Dienstschluß kann ich nicht mehr schlafen.«
»Er steckt in Ihnen, Lauren.«
Sie blickte in
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