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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Adel. Sie gingen hinein und kamen wieder heraus mit einem alten Säufer am Arm und einem Blick, als würden sie einen Wäschekorb davonschleppen. Viel Auswahl gab es nicht. Hauptsache, ihr Fahnenstock stand. Treue? Das bedeutet nichts, im Krieg wird so viel verschwendet, wem oder was soll man dann noch treu sein? Der Erde, die wie der Säufer das Verschwendete aufschlürft? Aber dann kam ein Offizier ins Dorf. Einer, der noch heil war. Leutnant von Mirbach war auf Urlaub, aber er sah aus, als wäre er aus einem dreijährigen Schönheitsschlaf erwacht. Ha! Er war noch so, wie wir früher alle waren. Perfekt erhalten. So sauber, ehrlich, schön, schon richtig unanständig. Alle starrten ihm nach. Ich habe mich an ihn geklammert, bevor jemand anders es tat. Wenn ich noch einen Funken Ehrgefühl hatte, war das meine letzte Chance. Voller Hingabe ließ ich mich schwängern.«
    Ich wollte sie nicht ansehen. Warum erzählte sie mir das alles?
    »In Kriegszeiten müssen Frauen für sich selbst sorgen, Janna. Unterschätz nicht, wie schwer das ist, denn sogar für einen Frontsoldaten wird gesorgt. Der bekommt seine Befehle und seine Essensrationen, während man uns mit dem Vieh zurückläßt. In Ostpreußen zogen die Kosaken durch die Dörfer. Es gingen Gerüchte, wonach sie die Leichen von Frauen und Kindern an Bäumen aufhängten,wie man es mit kranken Kadavern tut. Wir benahmen uns entsprechend. Wir mußten uns fortpflanzen, egal wie.«
    Ich blickte auf ihren sehnigen Handrücken, ihre schmale, symmetrische Nase, das dünne Haar, die blassen Ohren und konnte sie nur mit einem Vögelchen vergleichen. Sie zog eine lange Zigarette hervor, zündete sie aber nicht an.
    »Laß dir keine Schuld aufschwatzen, Janna«, sagte sie. »Niemand hat es leicht gehabt. Manchmal ist es einfacher, etwas über sich ergehen zu lassen, als untätig zuzuschauen. Was dein Vater getan hat …«
    »Mein Vater hat nichts verbrochen.«
    Sie winkte ab. »Wir sind alle unschuldig. Ich auch, ich dachte, Egon sei tot. Ein Jahr ohne Nachricht ging vorüber, und dann kam das zweite. Später hörte ich, daß die Zensur alle Briefe abfing, die aus Internierungslagern verschickt wurden. Seine Worte, für mich bestimmt, gingen durch die gierigen Hände anderer Frauen. Ja, diese Arbeit ließen sie von Frauen verrichten. Können wir angeblich gut. Würdest du gern Liebeserklärungen lesen, die an andere gerichtet sind? Mich würde es traurig machen. Und eifersüchtig.«
    Vielleicht hatte Egon es ihr erzählt, gleich bei ihrer Ankunft: »Das Mädchen liest die Briefe.« Wie viele hatte er ihr eigentlich geschickt? Viele konnten es nicht gewesen sein, denn sie bekamen nur zwei Briefmarken pro Monat, das hatte er meinem Vater geschrieben.
    »Hast du sie irgendwann noch bekommen?« fragte ich.
    »Nein. Und vielleicht ist das auch gut so. Ich fühlte mich schon schuldig genug. Liebesbriefe gehören zu einem Krieg, aber in meinem Dorf gab es keine Frau, die ruhigen Herzens einen Umschlag aufmachte. Alle diese Worte, in Schützengräben hingekritzelt, von nassen Fetzen inden Taschen von Toten gerettet, die waren nicht an uns gerichtet, sondern an Engel. Wir waren keine Engel. Was wir waren, wußten nicht einmal wir selbst, geschweige denn die Jungs, die wir kaum kannten. Die Zensur hatte beschlossen, daß ich nicht auf einen jungen Mann warten sollte, den ich kaum kannte. Sie haben dafür gesorgt, daß ich einen Helden heiraten konnte. Mein Mann hat mehr Orden, als ich Schmuckstücke besitze. Ich war im sechsten Monat, als er ausgezeichnet wurde. Da hatten wir beide etwas, mit dem wir prunken konnten. Er hat die Russen bei Tannenberg besiegt, danach hat er im Elsaß gekämpft und an der Somme. Währenddessen hockte Egon untätig in diesem Internierungslager herum. Der liebe Leibhusar. Ich erzähl es dir mal, Janna. Er wollte ein Held sein, kam aber nicht zum Zuge. Deswegen grollt er. Obwohl ich ihm so oft zu erklären versucht habe, daß man nichts zu tun braucht, um ein Held zu werden. Man braucht nur etwas Phantasie dafür. Hat er nicht.«
    »Er ist mein Meister«, sagte ich. »Er ist der beste Meister, den ich je gehabt habe.«
    »Ich will ihn dir nicht nehmen«, sagte sie. »Deinen Helden, meine ich. Ich hätte dir das alles nicht erzählen dürfen.«
    »Und warum weinst du dann?«
    Sie schüttelte den Kopf, ohne sich die Augen zu wischen. »Eine betrogene Frau weint nicht, weil sie ihren Mann nicht verlieren will, sondern weil sie Angst hat, verlassen zu werden.

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