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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wußte und dachte, bevor er aufgebrochen war. Damals war alles sonnenklar. Mein Leben war stimmig wie ein Kreis. Eigentlich war ich viel zu jung, um zu wissen, was ich in den vergangenen Wochen erfahren hatte. Kriege, blutige Duelle, Geister, Totenköpfe, Geschlechtsverkehr . Wie bei dem Mal, als er mich bei den Schultern packte, zum Bett schubste, an meinem Becken zerrte und murmelte: »So, ja.« Ich, das gehäutete Wild. Er hatte mich ausgezogen, in hastiger Gewissensnot, so wie ich seine Briefe aufriß. In diesem Haus lag die Indiskretion überall auf der Lauer. Hinter jeder Ecke versteckten sich Tabus, Geheimnisse und Rätsel in Hülle und Fülle. Heinz wußte das. Hatte er mich nicht schon am ersten Tag gewarnt: Eigentlich sind das Dinge, die Sie nichts angehen ? Und hatte seine Frau mir danach nicht geraten, den großen Umschlag meines Vaters geschlossen zu lassen? Hätte ich das bloß getan. Hätte ich alle diese Umschläge bloß zugelassen, dann wäre ich selbst auch heil geblieben. Verflucht noch mal.
    Ich stieg in die Waschschüssel und goß mir eine Kanne kaltes Wasser über den Kopf. Ich sprang auf und ab, während ich mich abtrocknete. Ich zog meinen Fechtanzug an, nicht nur die Jacke mit einer Flanellhose, wie in letzter Zeit, sondern den ganzen Kram. Mein Haar hatte ich schon seit Wochen nicht mehr geflochten, jetzt setzte ich mich hin und teilte es mit dem Kamm sorgfältig in Stränge. Ich hatte noch zwei Wochen. Zwei Wochen lang würde ich mich betragen, auch wenn der Rest es nicht tat. Der Meister hatte selbst gesagt: Dann ist ihre Lehrzeit vorbei, na schön, dann sollte er mir jetzt mal langsam Unterricht geben. Seine Briefe hatte ich ja schon gelesen, was sollte ich noch damit. Um die Zwillinge, diese armen Kerle, würde ich mich schon gar nicht mehr kümmern, die brauchten noch mindestens drei Jahre, um gut fechten zu lernen, und mindestens ebensoviele, um erwachsen zu werden. Leni, Heinz – seit wann mußte ein Gast sich mit dem Personal abgeben? Noch zwei Wochen, dann würden sie schon sehen.
    Ich rannte die Treppe hinunter, dem Alltagslärm entgegen. Auf dem Flur klapperte Leni mit Milchkannen, auf der Terrasse klopfte Heinz das Stroh aus seinem Besen. Alle Türen standen offen, schlugen im Zugwind, und aus dem Fechtsaal drang ein jämmerliches, keuchendes Geräusch, etwas furchtbar Verzweifeltes. Beherzt drückte ich die Tür auf. Die Zwillinge waren da und zwischen ihnen, mit allen vier Hufen auf dem Parkett, das Schwein. Hier war wirklich nie etwas normal.
    »Im Namen des Schwarzen Husaren«, sagte Siegbert. Er richtete sein Florett auf den Rumpf der Sau. Sie hatten sie in eine Fechtjacke gezwängt, aber oben ließ sich der Reißverschluß nicht zuziehen. Siegbert stupste sie in die Flanken.
    »Hör auf, du siehst doch, daß sie das nicht mag«, sagte ich.
    »Ja, laß sie in Ruhe«, sagte Friedrich. »Sigi, komm, wir lassen sie wieder los.«
    Das Schwein ließ sich quiekend entkleiden und saustemit ohrenbetäubendem Getrappel zur anderen Seite des Saals. Dort blieb es stehen, Hinterteil an der Wand. Verglichen mit anderen Tieren scheinen Schweine sich anzustellen, genau wie Menschen. Sie kreischen schon los, bevor sie geschlachtet werden. Als der Meister den Saal betrat, sah ihm die Sau genau in die Augen, mit einem erschreckend vernünftigen Blick.
    »Was ist hier los?«
    »Wir haben gespielt, Meister.« Siegbert ließ seine Waffe sinken. »Der Schwarze Husar.«
    »Was, in Gottes Namen?«
    » Der Schwarze Husar , den haben Sie doch wohl gesehen?« sagte Friedrich. »Vielleicht läuft er ja noch! Mama fand, wir müßten den Film unbedingt sehen, er war zum Totlachen komisch. Er handelt vom Krieg gegen Napoleon, ein Rittmeister von Hochberg dringt in das Schloß des polnischen Königs ein, in unterschiedlicher Gestalt …«
    »Hör bloß auf«, rief der Meister. Er reckte eine Faust. »Weiß der Himmel, wonach ihr alles in diesen Theatern glotzt. Als ob es im wahren Leben nichts zu erleben gäbe! Wenn ich diese Faxen hier sehe, habt ihr keinen blassen Schimmer davon. Ihr seid hergekommen, um zu fechten, nicht, um Schweine zu piesacken. Ich werde gleich mit eurer Mutter darüber sprechen. Seht euch doch nur an, ihr Milchgesichter. Ihr habt noch nie zu irgendwas getaugt, immer steht ihr nur im Weg.«
    Die Brüder sahen einander verwirrt an. Sie waren es nicht gewohnt, daß jemand böse auf sie war, sonst wären sie wohl in Tränen ausgebrochen. Ob sie jemals wegen irgend etwas weinten? Ob sie

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