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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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nach Raeren gefahren.
    »Ich hab gehört, daß ihr wieder keinen Unterricht bekommen habt«, sagte sie. »Und daß er grob zu euch war.«
    »Nicht zu mir.«
    Als sie sich hinkauerte, kroch ihr Rock hoch. Es amüsierte sie, daß ich ihre Strumpfbänder sehen konnte. »Hast du schon mal was von Sippenhaftung gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. Die Innenseite ihrer Oberschenkel erinnerte an Weißfisch. Bei uns auf dem Markt stand ein Mann mit geräucherten Makrelen. Er rief den ganzen Tag lang: »Dicke Schenkel, dicke Hüften.« Blutig ernst war es ihm, es betraf den Fisch, nur den Fisch.
    »Du weißt aber auch gar nichts«, sagte sie. »Sippenhaftung, das bedeutet, daß Kinder für die Sünden ihrer Eltern büßen. Blutschuld. Das Blut ist verdorben, vergieß es, bis es wieder rein ist. Die alten Germanen haben es getan. Die Juden haben es getan, sollen die ihre Hände bloß nicht in Unschuld waschen. ›Da ließ der König die Männer, die Daniel verklagt hatten, holen und zu den Löwen in die Grube werfen samt ihren Kindern und Frauen. Und ehe sie den Boden erreichten, ergriffen die Löwen sie und zermalmten alle ihre Knochen.‹«
    Sie sah mir tief in die Augen. Aquamarin. Selbst wenn sie sie zu schmalen Schlitzen zusammenkniff, bohrten diese kalten Steine weiter. »Du riechst nach Schweiß«, sagte sie.
    »Und du nach Alkohol.« Scheiß drauf, jetzt hatte ich es gesagt.
    »Hör zu, Mädchen, immer mit der Ruhe, ich werde dir keinen Strohhalm in den Weg legen. Nimm dir meine Söhne ruhig vor, du kannst erst den einen ausprobieren und dann den anderen. Sollen die Leute sie doch verachten, anspucken, vergewaltigen. Denn es sind Hurensöhne, sagen sie, die Früchte des Verrats. Nimm sie dir beide vor, es wird ja nicht mehr lange dauern, bis die Barbaren kommen und sie für irgendeinen Krieg holen. Dann verliere ich sie ja doch. Eigentlich habe ich sie nie gehabt.«
    Sie stand auf und zog den Rock herunter. Sie war schlanker als ich. Ihre Hüften war so schmal, wie meine hätten sein sollen, keine Mutterhüften.
    »Oder hättest du lieber einen anderen Mann?«
    Ich schnaubte. Wenn sie einen Schritt zurücktäte, würde sie auf meine Fechttasche treten, dann würde ich sie runterstoßen, und sie würde über ihre koketten Beine straucheln. Ich mußte nur auf diesen einen Schritt warten. Sie seufzte.
    »Du willst mir doch wohl nicht erzählen, daß du in deinen Meister verliebt bist? Ach Kind, so ein Klischee. DerMeister und die Schülerin. Aber was bringt er dir denn eigentlich bei? Du hast heute wieder keinen Unterricht bekommen. Es geht mich ja nichts an, aber …«
    Natürlich hielt sie hier inne, um Besonnenheit vorzutäuschen, die routinierte Klatschtante.
    »Aber du mußt wissen: Du bist nicht hier, um zu trainieren. Du bist eingeladen worden, weil er eine alte Rechnung begleichen will. Mit deinem Vater.«
    So? Die hatte doch keine Ahnung, die betrunkene Närrin. Und wie betrunken sie war! Tränen standen ihr in den Augen. Sie begann, im Kreis herumzugehen, wie der Otter es getan hatte, aber bei ihr waren es keine logischen Kreise, sondern wütende Kringel, immer kleinere, zum Schwindligwerden.
    »Enttäuscht dich das?« fragte sie. »Egon sammelt Menschen, mit denen er ein Hühnchen zu rupfen hat. Blutrache, Ehrenrache, damit geht er schlafen und damit steht er auf. Wie ein alter Teutone. Da ist nichts, in das man verliebt sein könnte, Mädchen, nichts mehr. Du hättest ihn früher sehen sollen. Was war er schön, als er in den Krieg zog! Alles war so nagelneu an ihm. Seine Stiefel, die glänzende Lanze mit der zusammengerollten Fahne, die Sitzfläche an seiner Reithose … meiner Meinung nach war sogar sein Schwanz noch funkelnagelneu. Ich hatte ihn jedenfalls noch nicht in den Fingern gehabt. Damals noch nicht. Es ist gut möglich, daß er als Jungfrau an die Front ging, zu der Zeit waren wir anständig. Du glaubst mir nicht?«
    Sie blickte in den Spiegel und löste ihre Haare. Sie waren dünn und gefärbt. Sie steckte sich die Haarnadeln zwischen die Lippen und zog einen doppelten Scheitel.
    »Das wurde erst anders, als der Krieg schon dem Ende zuging«, sagte sie. »Da ließen wir alles fahren. So geht das, der Tod kommt in die Dörfer, und die Vernunft zieht ab. Was nützt dir der Anstand, wenn die Männer ohne Fahnen zurückkehren, ohne Beine? Wir Frauen gaben alles preis. Es spielte keine Rolle, zu welcher Schicht man gehörte, ich habe Bäuerinnen gesehen, die allein in die Kneipe gingen, und Frauen von

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