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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sie wie Zwölfjährige. Friedrich wachte als erster auf, sah mich an, währender sich streckte, und ich hätte ihn geküßt, wenn Siegbert uns nicht mit bedenklichem Stirnrunzeln angestarrt hätte. Er merkte alles. Ich erschrak über seinen Blick, wie man erschrickt, wenn man unerwartet an einem Spiegel vorbeikommt und plötzlich erkennt, daß man seine Haltung noch nicht korrigiert hat und eigentlich schlaff und lasch durchs Leben geht. Ganz kurz sah ich in Siegberts Augen Janna, wie sie von anderen gesehen wurde, und es gefiel mir nicht. Schnell richtete ich mich wieder auf und ließ die Zwillinge in einem erneuten vereinten Schlaf zurück.
    »Was hast du da?«
    Heinz deutete auf den Brief, den ich vom Gras aufgehoben hatte.
    »Nichts Besonderes.«
    »Die Tinte zerfließt. Da, deine Finger sind ja ganz schwarz.«
    Nicht zu fassen, er grapschte mir die Blätter einfach aus der Hand. Seine Knopfaugen, die wie bei einer kranken Taube aus einem Gewirr rosaroter Falten quollen, flogen über die Sätze. Er betrachtete die Rückseite, dann wieder die Vorderseite, und begann, zum Teufel noch mal, den letzten Absatz laut vorzulesen. Glucksend und stotternd, nicht anzuhören. Und gab noch seinen Senf dazu.
    » Es wird einen neuen Krieg geben, einen, der besser ist als dieser . Na ja, das ist ’ne Binsenweisheit. Keine anonymen Kugeln von Franktireuren … was ist das denn? Französisch, typisch für ihn. Ich erkenne seine Handschrift, das da ist vom Chef. Aber wer ist dieser Jacq? Bestimmt auch wieder so ein Franzmann, oder?«
    »Das ist mein Vater. Gib her.«
    Er gehorchte achtlos, als interessiere ihn das alles nicht,doch während er das Pferd tätschelte, käute er die Worte wieder.
    »Weißt du, der Herr von Bötticher tut so, als wüßte er von nichts, obwohl doch die nationale Revolution im Gange ist. Ja, es wird einen neuen Krieg geben, aber ohne Heldenrolle für ihn. Diesmal ist das Volk an der Reihe. Hitler hat gesagt, die Generäle führen sich auf wie adlige Ritter, während er Revolutionäre braucht. Von Bötticher hört nicht auf ihn. Das kommt davon, wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat. Reichtum macht taub.«
    Mit einem Zungenschnalzen ermahnte er das Pferd zum Weitergehen. Ich sah ihnen nach, bis sie im Stall verschwanden, die prachtvolle Trakehnerstute und ihr abgearbeiteter Pfleger. Keine Frage, wie hier die Rollen verteilt waren. Wenn ich die Augen schloß, hörte ich das Pferd deutlich artikulieren: »Du Gnom, glaubst du wirklich, deine Gattung hat sich in den letzten Jahrhunderten großartig weiterentwickelt?«
    Später mußte ich mit einem miserablen Riechorgan ausgestatteter Mensch die Augen geschlossen halten, um die aus der Küche dringenden Düfte wahrzunehmen. Der Meister war am Kochen, das wußte ich. Während des Frühstücks hatte er Töpfe bereitgestellt, Messer hervorgeholt und pfeifend über den Schleifstein gezogen. Wenn Männer kochen, tun sie es demonstrativ, mit ausholenden, unnötigen Bewegungen und sehr vielen Gewürzen. Für meinen Vater mußte es mindestens ein Braten sein, dann war er plötzlich zu allem bereit: Fleisch einschneiden, Speckmantel darumwickeln, große Stücke mit Lorbeer, Muskatblüte und noch irgend etwas dazwischen zusammenbinden. Meine Mutter sah gönnerhaft zu, das Resultat war eßbar, aber sie wußte es besser.
    Als ich in die Küche kam, roch ich das Fleisch auf dem Hackklotz durch die dampfenden Backäpfel und das Sauerkraut hindurch. Zu meinem Entsetzen schlief Gustav, das Kaninchen, direkt daneben, reglos bis auf seine zuckende Nase. Ohne Vorwarnung drückte der Meister seine Handfläche an mein Gesicht. »Riechst du das? Der erste Hirsch des Jahres.«
    »Könnte eher der letzte sein«, sagte ich. »Das riecht wie eine alte Leiche.«
    »Ist es auch«, sagte er. »Jedes Stück Fleisch ist ein Stück Leiche, darum wartet man, bis der Rigor mortis vorbei ist. Sonst kann man es nicht kauen. Eigentlich muß man so einen Hirsch abhängen lassen, bis er vom Haken fällt. Das Eiweiß zersetzt sich, und das Fleisch wird zart. Findest du das eklig? Eskimos füllen einen geschlachteten Seehund mit toten Vögeln, sogar ohne sie vorher zu rupfen, und lassen das Ganze ein halbes Jahr liegen, bis es fermentiert.«
    Schon wieder diese Geschichten, die er vielleicht nur mir erzählte, weil er es genoß, wenn ich Mühe mit dem Schlucken bekam.
    »Es soll köstlich sein. Ein köstlicher, dekadenter Fäulnisprozeß. Denk an französischen Schimmelkäse.«
    »Mein Vater

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