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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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gesagt, das dauerte nur eine Sekunde, sofort fing er sich wieder, fuhr sich mit der Hand über das unrasierte Gesicht und befahl mir, mich ihm gegenüber hinzusetzen, auf das Bett des Toten. Man muss das Bestattungsinstitut anrufen, sagte er. Ich hätte es für angebrachter gehalten, einen Arzt zu rufen, damit er den Totenschein ausstellte, und die Polizei, aber ich sagte nichts, immerhin war ich die Polizei und an Ort und Stelle, oder? Als daraufhin mein General sah, dass ich keine Frage stellte, sagte er, der Tote sei sein Angestellter gewesen, sein einziger Angestellter, und schon so lange in seinen Diensten, dass er nicht einmal mehr wusste, wie lange. Dieser Mensch, sagte er, diese verdammte Leiche hat mir dreimal das Leben gerettet, dieser Mistkerl war während der ganzen Revolution an meiner Seite, dieses Aas hat sich um mich gekümmert, wenn ich krank war, und hat meine Kinder zur Schule gebracht. Das wiederholte er mehrmals: Er hat sich um mich gekümmert, wenn ich krank war, und meine Kinder zur Schule gebracht. Der Satz hat mich schwer beeindruckt, Jungs. Eine ganze Philosophie der Arbeit und des Fleißes lag darin. Dann sah mich mein General wieder mit diesem speziellen Blick an, der einem urplötzlich das Herz zerquetschte, und sagte: Du wirst es noch weit bringen, Bürschchen. Ich, Herr General? Was wollte ich mehr. Und er: Ja, du, Knalltüte, aber wenn du es weit bringen und oben bleiben willst, musst du sehr gerissen sein. Dann schien es mir, als wäre er eingeschlafen, und ich dachte: Der arme Mann, der Schock, seinen Angestellten tot vorzufinden, muss ihn erschöpft haben. Und ich dachte auch an das, was er mir gesagt hatte, und an andere Dinge, und die Wahrheit ist, dass mich plötzlich ein Gefühl großer Ruhe und Zufriedenheit überkam, wie ich so auf dem Bett des Toten saß, meinem General gegenüber, dessen Kopf zur Seite hing, als würde er tief schlafen. Dann aber öffnete der General ein Auge und fragte mich, ob ich wüsste, woher Nicanor stamme, woraus ich schloss, dass der Tote Nicanor hieß, und ich musste ihm die Wahrheit sagen, dass ich es nämlich nicht wusste. Daraufhin sagte mein General: Er stammte aus Villaviciosa, verdammt. Und ich horchte auf. Und mein General sagte: Diese Knallköpfe sind die einzigen Männer in ganz Mexiko, auf die man sich verlassen kann. Ist das wahr, Herr General?, fragte ich. Das ist allerdings wahr, sagte er. Dann benachrichtigte ich das Bestattungsinstitut und brachte meinen General in ein anderes Zimmer, damit es ihm nicht das Herz brach, wenn er mit ansah, wie man seinen Nicanor in den Sarg legte. Wir unterhielten uns, bis sein Anwalt nebst Sekretär erschien. Ich sah meinen General nie wieder. Im Jahr darauf starb er«, sagte Don Pedro, während er seinen fünften Whisky bestellte.
    »Er muss ein ganzer Mann gewesen sein, der General Sepúlveda«, sagte einer der Polizisten.
    »Er war weniger ein Mann als ein Held«, sagte Pedro Negrete.
    Die Polizisten nickten.
    »Und jetzt an die Arbeit«, sagte Don Pedro, »ich will keine Faulenzer in der Truppe.«
    Die Polizisten sprangen sofort auf. Zwei von ihnen trugen Pistolenhalfter unter den Trainingsjacken, bei den anderen steckte die Waffe in einem am Gürtel befestigten Futteral.
    »Du bleibst da, Pancho, ich will noch mit dir reden«, sagte Don Pedro.
    Pancho Monje verabschiedete sich von seinen Kollegen und setzte sich wieder hin.
    »Womit bist du gerade beschäftigt?«, fragte Don Pedro.
    »Mit der Schießerei von Los Álamos«, sagte Pancho.
    »Das lässt du mal ein paar Tage liegen und überwachst für mich einen Universitätsprofessor. In einer Woche will ich einen vollständigen Bericht.«
    »Wer ist die fragliche Person?«, fragte Pancho.
    Don Pedro zog ein Bündel Papiere aus einer Anzugtasche und begann eins nach dem anderen zu lesen.
    »Er heißt Oscar Amalfitano«, sagte Gumaro. »Er ist chilenischer Staatsbürger. Er unterrichtet Philosophie an der Universität.«
    »Ich verlange erstklassige Arbeit«, sagte Don Pedro. »Den Bericht übergibst du mir persönlich.«
    »Zu Befehl«, sagte Pancho.

7
     
    Homero Sepúlveda (1895–1955) besaß von frühester Jugend an das Zeug zum militärischen Führer: Mit acht Jahren war er groß, unerschrocken und der Anführer einer Bande von Gleichaltrigen, berühmt und berüchtigt in den Vierteln um den alten, im östlichen Santa Teresa gelegenen und heute verschwundenen Gemeindeschlachthof, in dessen Nachbarschaft der Mann aufwuchs, der später zu einer

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