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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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jagen, vor allem, wenn du jung bist, und er sagt zu mir, er brauche keinen Arzt. Und ich hatte den Eindruck, dass ihn das Wort Arzt amüsierte, denn als ich es wiederholte, lachte er erneut. Und da dachte ich, es sind die Jahre, die meinen General so durcheinanderbringen. Was die jungen Leute sich alles denken, denn, um Himmels willen, wie alt war denn mein General damals? Achtundfünfzig oder neunundfünfzig, also in der Blüte seines Lebens. Und außerdem brauchte man ihn sich nur aufmerksam anzuschauen, um einzusehen, dass das nicht sein konnte, dass dieser Mann mehr bei Trost war als ihr und ich, dass es sich um einen Typus handelte, der niemals den Verstand verlor. Und damit war ich beschäftigt und hing meinen Gedanken nach, als mein General mir befahl, ich solle mir auch einen Kaffee nehmen, wofür ich ihm sehr dankbar war, denn ich brauchte wirklich einen. Und als ich schon mein Käffchen vor mir stehen hatte, zeigte mein General auf einen Küchenschrank und sagte, den solle ich öffnen, und ich tat es und fand mehrere Flaschen Whisky, denn mein General trank ausschließlich Whisky, Jungs, wie ich. Und er sagte, das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen: Negrete, nimm eine Flasche und wärm meinen Kaffee ein bisschen auf. Ich goss also einen ordentlichen Schuss in seine Tasse, in der kaum noch Kaffee war, und dann sagte mein General, wärm du deinen auch auf, Knallkopf, du wirst es brauchen. Eine Aufforderung, die eher wie eine Ermahnung oder Drohung klang, nicht wahr?, über die ich aber hinweghörte, denn um ehrlich zu sein, ich trank gern. Ich goss mir also Whisky in den Kaffee und trank das Ganze. Und als ich ausgetrunken hatte, sagte mein General: Gieß mir noch was nach und schenk dir auch ein, und ich gehorchte, und dann stießen wir an, oder besser gesagt, mein General stieß an, auf das Leben, glaube ich, und ich stieß mit ihm an. Und als wir bei der fünften oder sechsten Tasse Whisky waren, sagte er, dass im Angestelltenzimmer ein Toter liege. Und ich sagte: Machen Sie keine Scherze, Herr General, und er sah mir in die Augen und sagte, er scherze nie. Geh und schau ihn dir an, sagte er, und überzeug dich selbst. Da stand ich auf und machte mich auf die Suche nach dem verflixten Zimmer. Ich verlief mich ein paarmal, aber schließlich fand ich es. Es befand sich unterhalb der großen Treppe, die in den zweiten Stock führte. Und was glaubt ihr, war das erste, was ich sah, als ich ins Zimmer trat? Meinen General Sepúlveda, der auf dem Bett saß und auf mich wartete! Ich machte mir fast in die Hose, Jungs! Wie findet ihr das?«
    »Unglaublich«, sagten die Polizisten.
    »Natürlich war nichts Übernatürliches dabei. Während ich im ganzen Haus nach dem Zimmer suchte, war der verdammte Alte direkt dorthin gegangen. Das war alles. Aber der Eindruck, den es auf mich machte, war von der umwerfenden Sorte. Alles, was ich herausbrachte, war: Herr General, was tun Sie hier? Der Alte antwortete mir nicht, oder wenn doch, vergaß ich auf der Stelle, was er sagte. Neben ihm auf dem Bett lag ausgestreckt und von einem Laken vollständig bedeckt eine menschliche Gestalt. Der General stand vom Bett auf und bedeutete mir mit Gesten, ich solle einen Blick auf sie werfen. Ich trat ganz langsam näher und hob das Laken. Ich sah das Gesicht eines Mannes, der genauso gut sechzig wie achtzig hätte sein können, mit stark gerunzelter Haut, zum Teil fingerbreiten Falten, aber schwarzem oder schwärzlichem Haar, rasiert oder raspelkurz geschnitten, einem kräftigen Haar, ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke. In dem Moment richtete der General das Wort an mich. Ich fuhr herum, als hätte man mich mit einem Stromkabel berührt. Der General saß auf dem Nachbarbett. Er ist tot, richtig? Ich glaube ja, Herr General, sagte ich. Auf alle Fälle deckte ich ihn erneut auf, der Tote trug nur das Oberteil eines Pyjamas, und diesmal schlug ich das Laken bis zu den Knien zurück – Kruzitürken, Jungs, für die Genitalien von Leichen hatte ich noch nie viel übrig – und betrachtete ihn von oben bis unten, ob es Anzeichen von Gewalteinwirkung gäbe. Nichts. Dann prüfte ich seinen Puls. Die Totenstarre stak ihm im Arsch, wie unser lieber Doktor Cepada sagt, und zog das Laken wieder hoch. Dieser Mensch ist tot, Herr General, sagte ich. Dachte ich’s mir, sagte er, und da verlor er zum ersten Mal die Fassung, wenn auch nur für eine Sekunde, sie schien Stück für Stück in sich zusammenzufallen, aber, wie

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