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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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öffnen bereitete ihm keine Mühe.
    Das Haus bestand aus einem Wohnzimmer mit amerikanischer Küche, zwei großen Zimmern und einem kleinen, das als Abstellraum diente, sowie einem Bad. Nach hinten zu gab es einen Hof ohne Pflanzen oder Blumen. Eine Zeitlang schnüffelte Pancho in den Zimmern herum. Er fand nichts, das von Interesse hätte sein können, außer einigen Briefen aus Barcelona. Er setzte sich im Wohnzimmer auf einen Stuhl am Fenster und begann zu lesen. Er las nicht alle. Danach war er eine Weile in Rosas Zimmer. Der Geruch gefiel ihm. Er suchte nach Fotos, fand aber nur ein paar Schnappschüsse, auf denen eine auffallend schöne Frau mit einem Mädchen im Arm zu sehen war. Im Schrank hingen Kleider, die ebenso gut einer Jugendlichen wie einer Frau gehören konnten. Unter dem Bett standen ein paar Plüschpantoffeln mit dem Konterfei von Pluto. Er schnupperte an ihnen. Sie rochen gut. Nach gesunden jungen Frauenfüßen. Als er sie zurück unters Bett stellte, spürte er, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Er blieb auf den Knien liegen, das Gesicht in den Decken vergraben, die ebenfalls gut rochen, nach Lavendel, nach Schwüle. Dann stand er auf und hatte keine Lust, sich weiter umzuschauen.

9
     
    An diesem Abend dachte die Professorin Isabel Aguilar gerade an Amalfitano, als dieser sie anrief. Obwohl es noch früh war, trug sie bereits ihren Pyjama und hatte sich einen Whisky eingeschenkt, mit dem sie die Lektüre eines Romans begleiten wollte, den sie schon lange zu lesen vorhatte. Sie lebte allein, und in den letzten Jahren hatte sie darin sogar ein gewisses Glück gefunden. Sie vermisste das Leben zu zweit nicht. Männer waren in ihrem Leben selten und jedes Mal eine Katastrophe gewesen. Geliebt hatte Isabel einen Philosophiestudenten, der sich am Ende den okkulten Wissenschaften zuwandte, einen engagierten Trotzkisten, der sich am Ende ebenfalls den okkulten Wissenschaften (und dem Bodybuilding) zuwandte, einen Lastwagenfahrer aus Hermosillo, der sich über ihre Liebe zu Büchern lustig machte und nur die Absicht hatte, sie zu schwängern (und dann sitzenzulassen, argwöhnte sie), einen Mechaniker, dessen geistigen Horizont Fußball und olympische Besäufnisse am Wochenende begrenzten, an denen sie schließlich ebenfalls Gefallen fand. Die einzige Liebe ihres Lebens war eigentlich Oscar Amalfitano, bei dem sie an der UNAM Philosophie studiert hatte und mit dem es nie zu etwas kam.
    Einmal hatte Isabel Aguilar ihn in seiner Wohnung in México D.F. besucht, fest entschlossen, ihm ihre Liebe zu gestehen, aber auf ihr Klingeln öffnete eine so schöne und offensichtlich glückliche und selbstbewusste Frau, dass sie beinahe auf dem Absatz umgedreht und treppab davongelaufen wäre.
    Von diesem Tag an wurde sie eine enge Freundin von Edith Lieberman, die sie bewunderte und vorbehaltlos liebte, und die Gefühle, die sie für Amalfitano empfand, verbannte sie in den Limbus der platonischen Lieben. Als Amalfitano mit seiner Familie nach Kanada ging, brach die Beziehung nicht ab. Mindestens einmal im Monat schrieb Isabel ihnen einen Brief, in dem sie von ihrem Leben und ihren beruflichen Fortschritten erzählte, und jeden Monat bekam sie, meist von Edith, einen Brief, der sie über die Ereignisse im Leben der Familie Amalfitano auf dem laufenden hielt.
    Als Edith Lieberman starb, war Isabel ehrlich traurig, aber im tiefsten Innern dachte sie, dass vielleicht jetzt ihre Stunde gekommen sei. Damals lebte sie in D.F. mit dem makrobiotischen Trotzkisten zusammen, und ein paar Wochen lang träumte sie davon, in ein Flugzeug zu steigen und in Brasilien ein neues Leben zu beginnen, an der Seite von Rosa (für die sie sorgen wollte, als wäre sie ihre eigene Tochter) und Amalfitano. Aber ihre Ängstlichkeit und mangelnde Entschlusskraft waren unüberwindliche Hindernisse, und aus dem einen oder anderen Grund flog sie nie nach Rio.
    Die Briefe jedoch folgten aufeinander mit noch größerer Intensität als vorher. In ihnen erzählte Isabel Amalfitano Dinge, die sie niemand sonst erzählte. Als sie sich von dem Trotzkisten trennte, fand sie in ihm ihre größte Stütze. Die späteren Veränderungen führten dazu, dass sie sich seltener schrieben. Isabel verliebte sich in den Lkw-Fahrer und erlebte eine kurze Phase sexueller Erfüllung. Seinetwegen zog sie in den Norden, nach Hermosillo, und begann an der Universität zu unterrichten. Dort lernte sie Horacio Guerra kennen, der damals gerade das neue Philosophische

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