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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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um die siebzig, der sie mit einer Auswahl köstlicher Kekse und Teilchen, einer netten, fröhlichen Unterhaltung und Musik von Mompou versorgt habe. So würde ich gern immer leben, sagte Padilla, unter solchen Menschen, und Vergnügungen wie diese teilen, auch wenn ich weiß, dass es sich, wenn man ein wenig am Lack kratzt, um eine gepflegte, geschmackvolle Agonie handelt, bestenfalls um eine Agonie in Verbindung mit einer satten Dosis Nolotil im Blut, aber die Freundschaft, die sie mir erweisen, ist echt, und das sollte in jeder Lebenslage genügen. Über Der Gott der Homosexuellen verlor er kein Wort.
    Amalfitano war damals zu sehr mit der Vorbereitung seiner Lehrveranstaltungen beschäftigt (er suchte über nordamerikanische Bibliotheken die verstreuten und vergessenen Bücher von Jean-Marie Guyau) und brachte nur eine Postkarte zustande, in der er ihm ungeschickt erklärte, was er vorhatte, und sich nebenbei nach dem Stand seines Romans erkundigte.
    Padillas Antwort war lang, zudem fröhlich, hellsichtig aber nicht. Sicher hast du einen neuen Liebhaber gefunden, sagte er, und sicher lässt du es dir gutgehen. Gut so! Er erinnerte an das Lied von den Byrds (war es von ihnen?), in dem es heißt, wenn du nicht den haben kannst, den du liebst, liebe den, den du hast, erkundigte sich aber, was seltsam war, wenn er das wirklich glaubte, nicht eingehender nach seinem neuen Liebhaber, ich nehme mal an, schrieb er, es ist einer deiner Studenten. Im nächsten Abschnitt jedoch änderte sich der Ton des Briefes dramatisch, und er bat ihn, sich nicht ausnutzen zu lassen. Lass dich von niemand ausnutzen, beschwor er ihn, von niemand, von niemand, auch wenn er bildhübsch ist und im Bett eine Rakete, lass dich auf keinen Fall ausnutzen. Anschließend verlor er sich in Gründeleien über die Einsamkeit, die auf Amalfitano lastete, und über die Risiken, denen er sich durch diese Einsamkeit aussetzte. Zuletzt fand der Brief zu seiner anfänglichen Fröhlichkeit zurück (die Zeilen über die Einsamkeit und die Gefahr, ausgenutzt zu werden, waren tatsächlich gleichsam nur ein kleiner eingeschobener Anfall von Verzagtheit) und sprach über den Winter und den Frühling, über die Blumenstände auf den Ramblas und den Regen, über die leuchtend graue Farbe und die in den Mauern der Altstadt verborgenen schwarzen Steine. Im Postskriptum sandte er Grüße an Rosa (was er noch nie getan hatte, es war immer so, als würde Rosa für Padilla nicht existieren) und sagte, er habe den letzten Roman von Arcimboldi gelesen, einen Text von einhundertfünf Seiten über einen Arzt, der, als er das väterliche Haus erbt, eine Sammlung von Masken aus Menschenhaut vorfindet. Jedes Gefäß, in dem eine der Masken in einer zähen, scheinbar die Helligkeit absorbierenden Flüssigkeit schwimmt, trägt eine Nummer, und nach kurzer Suche findet er in einem dicken Kassenbuch eine Sammlung erklärender, ebenfalls nummerierter Versikel, die nach Art der Nouvelles Impressions d’Afrique haufenweise Licht oder haufenweise Schatten über Ursprung und Zweck der Masken schaufelten.
    Amalfitanos Antwort war, gelinde gesagt, dröge. Er sprach von seiner Tochter, vom riesigen Himmel von Sonora, von Philosophen, von denen Padilla noch nie etwas gehört hatte, und von der Professorin Isabel Aguilar, die allein in einer kleinen Wohnung in der Altstadt wohnte und sich ihnen gegenüber so nett verhalten hatte.
    Der folgende Brief von Padilla, vier beidseitig mit der Maschine beschriebene DIN-A4-Seiten, machte auf Amalfitano einen äußerst melancholischen Eindruck. Er sprach von seinem Vater, von dessen Gesundheit, davon, wie er als Kind die gesundheitlichen Veränderungen seines Vaters registriert hatte, von seinem klinischen Blick für seine Zipperlein, seine Grippen, seine Erschöpfungszustände, seine Atemwegserkrankungen, seine Depressionen. Natürlich unternahm er dann nichts, damit es ihm besserging, ihm war das sogar ziemlich gleichgültig. Wäre mein Vater gestorben, als ich zwölf war, ich hätte keine Träne vergossen. Er sprach von seiner Wohnung, vom Kommen und Gehen seines Vaters, vom Ohr seines Vaters (wie eine kaputte Parabolantenne), wenn er es war, der kam und ging, von dem Esszimmertisch, massiv und aus gutem Holz, aber seelenlos, als wäre der Genius des Tischs vor vielen Jahren gestorben, von den drei Stühlen, einer davon immer leer, angelehnt, oder von Büchern oder Kleidern belegt, von verschlossenen Paketen, die sein Vater in der Küche öffnete,

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