Die Noete des wahren Polizisten
wirklich frei ist oder ganz klar weiß, dass man es nicht ist. In beiden Fällen war es so, als würde man in einem Haus aus rohem Fleisch wohnen, versicherte er. Andere Male sagte er, es sollte keine Polizei geben, die Armee reiche völlig.
Er redete gern. Vor allem redete er gern allein. Er erzählte auch gern Witze, über die nur er lachen konnte. Er hatte weder Frau noch Kinder. Kinder taten ihm leid, und er mied sie, und Frauen ließen ihn kalt. Einmal fragte ihn ein Kneipenwirt, warum er sich nicht eine Alte zulege. Gumaro war umringt von diensthabenden und außer Dienst befindlichen Polizisten, und alle verstummten in Erwartung seiner Antwort, aber er sagte nichts, trank seelenruhig weiter sein Tecate-Bier, und zehn Minuten später beugte sich der Kneipenwirt zu ihm herüber und bat ihn um Entschuldigung.
»Entschuldigung wofür, Kumpel?«, fragte Gumaro.
»Für meine Unverschämtheit, Sargento«, sagte der Wirt.
»Du bist nicht unverschämt«, sagte Gumaro, »du bist unschuldig oder halbwegs unschuldig, Idiot.«
So endete es immer. Er war weder nachtragend noch heimtückisch.
Manchmal tauchte er am Tatort eines Verbrechens auf. Bei seinem Eintreffen wichen alle zur Seite, sogar der Untersuchungsrichter oder der Gerichtsmediziner, die er mit Vor- oder Spitznamen kannte.
Wortlos, in sich gekehrt, als würde er nachdenken, die Hände in den Taschen vergraben, warf er einen Blick auf die Leiche, auf ihre Habseligkeiten und auf das, was Polizisten gern den Schauplatz des Verbrechens nennen; anschließend ging er und ließ sich nicht wieder blicken.
Niemand wusste, wo er wohnte. Einige sagten, im Keller des Hauses von Don Pedro Negrete, andere versicherten, er habe keine feste Bleibe und schlafe in irgendeiner Zelle des Kommissariats General Sepúlveda, egal ob gerade belegt oder nicht. Als einer von wenigen wusste Pancho von Anfang an (ein außergewöhnlicher Vertrauensbeweis seitens von Gumaro), dass er tatsächlich manchmal bei Don Pedro im Keller übernachtete, in einem extra für ihn hergerichteten Zimmerchen, und manchmal in den Zellen des Kommissariats, dass er aber in den meisten Fällen in einem Gästehaus in der Siedlung El Milagro schlief, fünf Blocks von seiner, Panchos, Wohnung entfernt. Die Besitzerin war eine etwa fünfzigjährige Frau, die einen Sohn hatte, der als Rechtsanwalt in Monterrey arbeitete und mit Gumaro eng vertraut war. Ihr Mann hatte als Polizist in Ausübung seines Dienstes den Tod gefunden. Sie hieß Felicidad Pérez und bat Gumaro ständig um kleine Gefälligkeiten, die dieser nie erfüllte.
Oftmals begleitete Pancho ihn bis zum Morgengrauen von Kneipe zu Kneipe.
Gumaro trank viel, aber selten beeinträchtigte der Alkohol sein normales Verhalten. Wenn er sich betrank, schob er seinen Stuhl ans Fenster und musterte den Himmel. Er sagte:
»Mein Hirn braucht frische Luft.«
Das sollte heißen, dass er in Gedanken woanders war. Dann fing er an, über Vampire zu sprechen.
»Wie viele Dracula-Filme hast du gesehen?«, fragte er Pancho.
»Keinen, Gumaro.«
»Dann weißt du ziemlich wenig über Vampire«, sagte Gumaro.
Andere Male sprach er über Dörfer in der Wüste, Ortschaften, Weiler, die nur intern kommunizierten und keine Grenzen oder Sprachen anerkannten. Dörfer, die mehr als tausend oder zweitausend Jahre alt waren und in denen kaum fünfzig oder hundert Menschen lebten.
»Und was sind das für Dörfer, Gumaro?«, fragte ihn Pancho.
»Dörfer von Vampiren oder weißen Würmern«, sagte Gumaro, »was in diesem Fall das gleiche ist. Verfluchte Dörfer, in denen mit der Lust zu leben die Lust zu töten einhergeht.«
Pancho stellte sich daraufhin zwei oder drei Kneipen vor, einen Lebensmittelladen und ummauerte, nach Westen ausgerichtete, betonierte Innenhöfe. Wie Villaviciosa.
»Und wo liegen diese Dörfer?«, fragte er.
»Verstreut«, sagte Gumaro, »auf beiden Seiten der Grenze, wie eine von Mexiko und den Vereinigten Staaten gleichermaßen geleugnete Nation. Die unsichtbare Nation.«
Einmal musste Gumaro aus beruflichen Gründen in eins dieser Dörfer fahren. Was er damals natürlich nicht wusste.
»Man weiß das nie«, sagte er zu Pancho.
Die Straße, obwohl unbefestigt, war nicht schlecht, auf den letzten dreißig Kilometern allerdings nur eine Piste durch Wüste und Geröll. Gegen vier Uhr nachmittags kamen sie an. Das Dorf hatte dreißig Bewohner, und die Hälfte der Häuser stand leer. Gumaro wurde von Sebastián Romero und Marco Antonio Guzmán,
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