Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
Psycho-Tricks und wollte nicht abgehetzt und geschwächt bei Hräswelgr ankommen.
»Ha, der Nagezahn! Du hast mir gerade noch gefehlt!«, rief ihm der Adler entgegen.
»Dann ist es ja gut, dass ich jetzt da bin«, antwortete Ratatöskr schnippisch. »Es gibt andere, die wissen meine Arbeit mehr zu schätzen.«
»Du meinst doch nicht den alten Drachen da unten im Wurzelwerk? Der ist doch nur froh, wenn ihm überhaupt noch jemand zuhört.«
»Nidhöggr ist der Meinung, dass deine Zeit abgelaufen ist, Federvieh. Die Geschuppten werden sich bald erheben.«
»Attacke! Schwingt die Flügel! Attacke! Nie werden die Würmer die Herrschaft über die Lüfte erobern!«, krächzte eine Stimme aus dem rechten Auge des Adlers. Der Habicht Hochhose, den die Eisländer Habrok nannten, war soeben aus tiefem Schlaf erwacht und noch ein wenig orientierungslos. Er schlief gern im Schutz von Hräswelgr und träumte von Luftschlachten gegen die ihm verhassten Drachen und Lindwürmer, in denen natürlich immer er, der glorreiche Habicht, siegreich war.
»Ach ja, Nidhöggr möchte wissen, ob der kleine Schmarotzer immer noch in deinem Kopf wohnt. Die Frage hat sich damit wohl erledigt«, kommentierte Ratatöskr und goss damit noch Öl ins Feuer. Er wusste genau, wie er den Streit zwischen oben und unten im Weltenbaum am Köcheln halten konnte.
Die Aufrechterhaltung dieses Streites war inzwischen sein Lebensinhalt. Anfangs hatte Ratatöskr noch gedacht, dass es für alle Beteiligten gut wäre, wenn auf dem gesamten Weltenbaum ein angenehmes Betriebsklima herrschte. Doch dann hatte er gemerkt, dass ihn die Harmonie langweilte. Und er fand nichts schrecklicher als Langeweile. Die fand er schlimmer als seine Existenz als Eichhörnchen, die er nun schon so lange Zeit fristen musste. Aber Ratatöskr war ein Gemütshörnchen, und deshalb machte er für sich das Beste aus der Situation, indem er konstruktiv für permanenten Streit sorgte.
»Der Drache lässt dir ausrichten, dass er dich für ein abgemausertes Vieh hält, das für ihn kein ebenbürtiger Gegner mehr ist. Dein Äon neigt sich dem Ende entgegen.«
Der Adler stieß einen Wutschrei aus und flatterte erregt mit den mächtigen Schwingen. Ganz Eisland wurde im selben Moment von schweren Stürmen überzogen, und in Küstennähe kenterten etliche Fischerboote.
»Ich werde diesen Wurm in Stücke reißen! Ich, Leichenverschlinger, werde seine Eingeweide an die Raben verfüttern! Und ich werde jedes Eichhörnchen zerhacken, das es wagt, den Namen Nidhöggr in meiner Gegenwart noch einmal auszusprechen!«
»Und ich fress den Rest!«, krähte der Habicht.
*
Am nächsten Morgen kroch Seshmosis unwillig aus der Felldecke, die ihm Frodis Leute geliehen hatten. Wenn es schon im Haus so kalt ist, wie mag es dann erst im Freien sein?, fragte er sich. Draußen spritzte er sich an einem Wasserloch ein paar eiskalte Tropfen ins Gesicht und schimpfte fröstelnd vor sich hin. Ein Einheimischer, der ihn beobachtete, lachte und tröstete ihn ironisch: »Zwei Stunden von hier findest du heißes Wasser. Es ist so heiß, dass es dampfend aus der Erde sprudelt.«
»Warum habt ihr dann euer Dorf nicht dort gebaut?«, brummte Seshmosis und ging wieder ins Haus. Dort kam er gerade rechtzeitig, um Zeuge der schwierigen Handelsbemühungen zu werden.
»Also noch mal, Frodi: Mit fetthaltiger Wolle kann meine Kundschaft nichts anfangen. Und Pelze werden bei uns in Byblos auch nicht gern getragen. Fische gibt es bei uns zu Hause genug, da brauchen wir keinen Dörrfisch den ganzen weiten Weg übers große Meer zu bringen. Hast du wirklich nichts anderes zu bieten?«
Raffim war am Rande der Verzweiflung, weil die Insulaner anscheinend nichts besaßen, mit dem es sich zu handeln lohnte.
Da griff Barsil ein: »Habt ihr keine religiösen Artefakte? Keine Gaben an die Götter aus Gold oder Elfenbein? Oder wertvolle Dinge, die ihr euren Nachbarn abgenommen habt?«
Damit war er anscheinend auf der richtigen Spur, denn Frodi antwortete erleichtert: »Ach, ihr meint unnütze Dinge! Sachen, die keinen praktischen Wert haben.«
»Genau die!«, rief Raffim freudig. »Diese unnützen, wertvollen Dinge, die ihr eigentlich gar nicht mehr haben wollt.«
»Helga! Lass die Kiste mit den Andenken von meiner Wikingfahrt nach England bringen. Mal sehen, ob da etwas Tauschenswertes drinnen ist.«
Seshmosis sah, dass es lief wie immer und überall: Ob in Byblos oder Theben, in Troja oder auf Eisland, wenn es ums
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